INTERNATIONALE ARBEITSORGANISATION

Übereinkommen 175

Übereinkommen über die Teilzeitarbeit, 1994

Dieses Übereinkommen ist am 28. Februar 1998 in Kraft getreten.
Ort:Genf 
Tagung:81 
Tabelle der Ratifizierungen



Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation,

die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 7. Juni 1994 zu ihrer einundachtzigsten Tagung zusammengetreten ist,

verweist auf die Bedeutung der Bestimmungen des Übereinkommens über die Gleichheit des Entgelts, 1951, des Übereinkommens über die Diskriminierung (Beschäftigung und Beruf), 1958, und des Übereinkommens und der Empfehlung über Arbeitnehmer mit Familienpflichten, 1981, für Teilzeitarbeitnehmer,

verweist auf die Bedeutung des Übereinkommens über Beschäftigungsförderung und den Schutz gegen Arbeitslosigkeit, 1988, und der Empfehlung betreffend die Beschäftigungspolitik (ergänzende Bestimmungen), 1984, für diese Arbeitnehmer,

anerkennt die Bedeutung der produktiven und frei gewählten Beschäftigung für alle Arbeitnehmer, die wirtschaftliche Bedeutung der Teilzeitarbeit, die Notwendigkeit, daß die Beschäftigungspolitik der Rolle der Teilzeitarbeit bei der Förderung zusätzlicher Beschäftigungsmöglichkeiten Rechnung trägt, und die Notwendigkeit, den Schutz der Teilzeitarbeitnehmer in den Bereichen des Zugangs zur Beschäftigung, der Arbeitsbedingungen und der Sozialen Sicherheit zu gewährleisten,

hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend die Teilzeitarbeit, eine Frage, die den vierten Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und

dabei bestimmt, daß diese Anträge die Form eines internationalen Übereinkommens erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 24. Juni 1994, das folgende Übereinkommen an, das als Übereinkommen über die Teilzeitarbeit, 1994, bezeichnet wird.



Artikel 1

Im Sinne dieses Übereinkommens

a) bedeutet der Ausdruck „Teilzeitarbeitnehmer" einen Arbeitnehmer, dessen Normalarbeitszeit geringer ist als diejenige vergleichbarer Vollzeitarbeitnehmer;

b) kann die in Unterabsatz a) genannte Normalarbeitszeit wöchentlich oder im Durchschnitt einer bestimmten Beschäftigungszeit berechnet werden;

c) bezieht sich der Ausdruck „vergleichbarer Vollzeitarbeitnehmer" auf einen Vollzeitarbeitnehmer, der:

i) die gleiche Art von Beschäftigungsverhältnis hat;

ii) eine gleichartige oder ähnliche Arbeit verrichtet oder einen gleichartigen oder ähnlichen Beruf ausübt; und

iii) im gleichen Betrieb oder, wenn es in diesem Betrieb keinen vergleichbaren Vollzeitarbeitnehmer gibt, im gleichen Unternehmen oder, wenn es in diesem Unternehmen keinen vergleichbaren Vollzeitarbeitnehmer gibt, im gleichen Wirtschaftszweig beschäftigt ist

wie der betreffende Teilzeitarbeitnehmer;

d) werden Vollzeitarbeitnehmer, die von Teilarbeitslosigkeit betroffen sind, d.h. von einer kollektiven und vorübergehenden Verkürzung ihrer Normalarbeitszeit aus wirtschaftlichen, technischen oder strukturellen Gründen, nicht als Teilzeitarbeitnehmer angesehen.



Artikel 2

Dieses Übereinkommen berührt nicht günstigere Bestimmungen, die aufgrund anderer internationaler Arbeitsübereinkommen für Teilzeitarbeitnehmer gelten.



Artikel 3

1. Dieses Übereinkommen gilt für alle Teilzeitarbeitnehmer, mit der Maßgabe, daß

ein Mitglied nach Anhörung der in Betracht kommenden repräsentativen Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer besondere Gruppen von Arbeitnehmern oder Betrieben ganz oder teilweise aus seinem Geltungsbereich ausnehmen kann, wenn seine Anwendung auf diese Gruppen besondere Probleme von erheblicher Bedeutung aufwerfen würde.

2. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat und das die im vorstehenden Absatz gebotene Möglichkeit für sich in Anspruch nimmt, hat in seinen Berichten über die Durchführung des Übereinkommens nach Artikel 22 der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation die besonderen Gruppen von Arbeitnehmern oder Betrieben, die auf diese Weise ausgenommen worden sind, sowie die Gründe, weshalb diese Ausnahme als erforderlich erachtet worden ist oder noch erachtet wird, anzugeben.



Artikel 4

Es sind Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, daß Teilzeitarbeitnehmer den gleichen Schutz wie vergleichbare Vollzeitarbeitnehmer erhalten in bezug auf:

a) das Vereinigungsrecht, das Recht zu Kollektivverhandlungen und das Recht, als Arbeitnehmervertreter tätig zu sein;

b) den Arbeitsschutz;

c) die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf.



Artikel 5

Es sind der innerstaatlichen Gesetzgebung und Praxis entsprechende Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, daß Teilzeitarbeitnehmer nicht allein deshalb, weil sie teilzeitbeschäftigt sind, ein Grundentgelt erhalten, das, anteilig auf Stunden-, Leistungs- oder Akkordbasis berechnet, niedriger ist als das nach der gleichen Methode berechnete Grundentgelt eines vergleichbaren Vollzeitarbeitnehmers.



Artikel 6

Die gesetzlichen Systeme der Sozialen Sicherheit, die auf einer Beschäftigung beruhen, sind so anzupassen, daß Teilzeitarbeitnehmer in den Genuß von Bedingungen kommen, die denen vergleichbarer Vollzeitarbeitnehmer gleichwertig sind; diese Bedingungen können im Verhältnis zur Arbeitszeit, zu den Beiträgen oder zum Verdienst oder durch andere der innerstaatlichen Gesetzgebung oder Praxis entsprechende Methoden festgesetzt werden.



Artikel 7

Es sind Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, daß Teilzeitarbeitnehmer in den folgenden Bereichen in den Genuß von Bedingungen kommen, die denen vergleichbarer Vollzeitarbeitnehmer gleichwertig sind:

a) Mutterschutz;

b) Beendigung des Arbeitsverhältnisses;

c) bezahlter Jahresurlaub und bezahlte Feiertage; und

d) krankheitsbedingte Abwesenheit vom Arbeitsplatz, mit der Maßgabe, daß Geldleistungen im Verhältnis zur Arbeitszeit oder zum Verdienst festgesetzt werden können.



Artikel 8

1. Ein Mitglied kann Teilzeitarbeitnehmer, deren Arbeitszeit oder Verdienst bestimmte Schwellenwerte unterschreitet, ausnehmen:

a) vom Geltungsbereich aller in Artikel 6 erwähnten gesetzlichen Systeme der Sozialen Sicherheit, außer in bezug auf Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten;

b) vom Geltungsbereich aller Maßnahmen in den durch Artikel 7 erfaßten Bereichen, außer in bezug auf andere Maßnahmen des Mutterschutzes als solche, die in gesetzlichen Systemen der Sozialen Sicherheit vorgesehen sind.

2. Die in Absatz 1 erwähnten Schwellenwerte müssen so niedrig sein, daß nicht ein unangemessen hoher Prozentsatz der Teilzeitarbeitnehmer ausgeschlossen wird.

3. Ein Mitglied, das die in Absatz 1 vorgesehene Möglichkeit für sich in Anspruch nimmt, hat:

a) die geltenden Schwellenwerte in regelmäßigen Zeitabständen zu überprüfen;

b) in seinen Berichten über die Durchführung des Übereinkommens nach Artikel 22 der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation die geltenden Schwellenwerte und die Gründe dafür anzugeben und mitzuteilen, ob die schrittweise Ausdehnung des Schutzes auf die ausgenommenen Arbeitnehmer erwogen wird.

4. Die maßgebenden Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer sind zur Festsetzung, Überprüfung und Änderung der in diesem Artikel erwähnten Schwellenwerte anzuhören.



Artikel 9

1. Es sind Maßnahmen zu treffen, um den Zugang zu produktiver und frei gewählter Teilzeitarbeit zu erleichtem, die den Bedürfnissen sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer entspricht, vorausgesetzt, daß der in den Artikeln 4 bis 7 erwähnte Schutz gewährleistet ist.

2. Diese Maßnahmen haben zu umfassen:

a) die Überprüfung von Gesetzen und Vorschriften, die die Inanspruchnahme oder Annahme von Teilzeitarbeit verhindern oder davon abhalten können;

b) die Heranziehung der Arbeitsvermittlungsdienste, soweit solche bestehen, zur Feststellung und Bekanntmachung von Möglichkeiten für Teilzeitarbeit im Rahmen ihrer Informations- und Vermittlungstätigkeiten;

c) in der Beschäftigungspolitik eine besondere Beachtung der Bedürfnisse und Wünsche bestimmter Gruppen wie der Arbeitslosen, der Arbeitnehmer mit Familienpflichten, der älteren Arbeitnehmer, der Arbeitnehmer mit Behinderungen und der Arbeitnehmer, die an einer Bildungs- oder Ausbildungsmaßnahme teilnehmen.

3. Diese Maßnahmen können auch Untersuchungen und die Verbreitung von Informationen darüber umfassen, inwieweit Teilzeitarbeit den wirtschaftlichen und sozialen Zielen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer gerecht wird.



Artikel 10

Gegebenenfalls sind Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, daß die Versetzung von Vollzeit- zu Teilzeitarbeit oder umgekehrt freiwillig erfolgt, in Übereinstimmung mit der innerstaatlichen Gesetzgebung und Praxis.



Artikel 11

Die Bestimmungen dieses Übereinkommens sind durch die Gesetzgebung durchzuführen, soweit sie nicht durch Gesamtarbeitsverträge oder auf eine andere der innerstaatlichen Praxis entsprechende Weise durchgeführt werden. Die maßgebenden Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer sind vor der Annahme einer solchen Gesetzgebung anzuhören.



Artikel 12

Die förmlichen Ratifikationen dieses Übereinkommens sind dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes zur Eintragung mitzuteilen.



Artikel 13

1. Dieses Übereinkommen bindet nur diejenigen Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation, deren Ratifikation durch den Generaldirektor eingetragen ist.

2. Es tritt, zwölf Monate nachdem die Ratifikationen zweier Mitglieder durch den Generaldirektor eingetragen worden sind, in Kraft.

3. In der Folge tritt dieses Übereinkommen für jedes Mitglied zwölf Monate nach der Eintragung seiner Ratifikation in Kraft.



Artikel 14

1. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren seit seinem erstmaligen Inkrafttreten durch förmliche Mitteilung an den Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes kündigen. Die Kündigung wird von diesem eingetragen. Sie wird erst ein Jahr nach der Eintragung wirksam.

2. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat und binnen eines Jahres nach Ablauf der in Absatz 1 genannten zehn Jahre von dem in diesem Artikel vorgesehenen Kündigungsrecht keinen Gebrauch macht, bleibt für weitere zehn Jahre gebunden. In der Folge kann es dieses Übereinkommen jeweils nach Ablauf von zehn Jahren nach Maßgabe dieses Artikels kündigen.



Artikel 15

1. Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes gibt allen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation Kenntnis von der Eintragung aller Ratifikationen und Kündigungen, die ihm von den Mitgliedern der Organisation mitgeteilt werden.

2. Der Generaldirektor wird die Mitglieder der Organisation, wenn er ihnen von der Eintragung der zweiten Ratifikation, die ihm mitgeteilt wird, Kenntnis gibt, auf den Zeitpunkt aufmerksam machen, zu dem dieses Übereinkommen in Kraft tritt.



Artikel 16

Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes übermittelt dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zur Eintragung nach Artikel 102 der Charta der Vereinten Nationen vollständige Auskünfte über alle von ihm nach Maßgabe der vorausgehenden Artikel eingetragenen Ratifikationen und Kündigungen.



Artikel 17

Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes erstattet der Allgemeinen Konferenz, wann immer er es für nötig erachtet, einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens und prüft, ob die Frage seiner gänzlichen oder teilweisen Neufassung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.



Artikel 18

1. Nimmt die Konferenz ein neues Übereinkommen an, welches das vorliegende Übereinkommen ganz oder teilweise neufaßt, und sieht das neue Übereinkommen nichts anderes vor, so gilt folgendes:

a) Die Ratifikation des neugefaßten Übereinkommens durch ein Mitglied hat ungeachtet des Artikels 14 ohne weiteres die Wirkung einer sofortigen Kündigung des vorliegenden Übereinkommens, sofern das neugefaßte Übereinkommen in Kraft getreten ist.

b) Vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des neugefaßten Übereinkommens an kann das vorliegende Übereinkommen von den Mitgliedern nicht mehr ratifiziert werden.

2. In jedem Fall bleibt das vorliegende Übereinkommen nach Form und Inhalt für diejenigen Mitglieder in Kraft, die dieses, nicht jedoch das neugefaßte Übereinkommen ratifiziert haben.



Artikel 19

Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise verbindlich.