INTERNATIONALE ARBEITSORGANISATION

Übereinkommen 167

Übereinkommen über den Arbeitsschutz im Bauwesen, 1988

Dieses Übereinkommen ist am 11. Januar 1991 in Kraft getreten.
Ort:Genf 
Tagung:75 

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation,

die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 1. Juni 1988 zu ihrer fünfundsiebzigsten Tagung zusammengetreten ist,

verweist auf die einschlägigen internationalen Arbeitsübereinkommen und -empfehlungen, insbesondere auf das Übereinkommen und die Empfehlung über Unfallverhütungsvorschriften (Hochbau), 1937, die Empfehlung betreffend die Zusammenarbeit in der Unfallverhütung (Hochbau), 1937, das Übereinkommen und die Empfehlung über den Strahlenschutz, 1960, das Übereinkommen und die Empfehlung über den Maschinenschutz, 1963, das Übereinkommen und die Empfehlung über die höchstzulässige Traglast, 1967, das Übereinkommen und die Empfehlung über Berufskrebs, 1974, das Übereinkommen und die Empfehlung über die Arbeitsumwelt (Luftverunreinigung, Lärm und Vibrationen), 1977, das Übereinkommen und die Empfehlung über den Arbeitsschutz, 1981, das Übereinkommen und die Empfehlung über die betriebsärztlichen Dienste, 1985, das Übereinkommen und die Empfehlung über Asbest, 1986, und die dem Übereinkommen über Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, 1964, beigefügte Liste der Berufskrankheiten in der 1980 abgeänderten Fassung,

hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend den Arbeitsschutz im Bauwesen, eine Frage, die den vierten Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und

dabei bestimmt, daß diese Anträge die Form eines internationalen Übereinkommens zur Neufassung des Übereinkommens über Unfallverhütungsvorschriften (Hochbau), 1937, erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 20. Juni 1988, das folgende Übereinkommen an, das als Übereinkommen über den Arbeitsschutz im Bauwesen, 1988, bezeichnet wird.



I. Geltungsbereich und Begriffsbestimmungen

Artikel 1

1. Dieses Übereinkommen gilt für alle Bautätigkeiten, nämlich Hoch- und Tiefbau- sowie Montage- und Demontagearbeiten, einschließlich aller Verfahren, Arbeitsvorgänge oder Transporte auf einer Baustelle, von der Vorbereitung der Baustelle bis zur Baufertigstellung.

2. Ein Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, kann nach Beratung mit den in Betracht kommenden maßgebenden Verbänden der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer, soweit solche bestehen, bestimmte Wirtschaftszweige oder bestimmte Betriebe, bei denen besondere Probleme von erheblicher Bedeutung auftreten, von der Anwendung des Übereinkommens oder einzelner seiner Bestimmungen ausnehmen, vorausgesetzt, daß eine sichere und gesunde Arbeitsumwelt aufrechterhalten wird.

3. Dieses Übereinkommen gilt auch für die durch die innerstaatliche Gesetzgebung bestimmten selbständig Erwerbstätigen.



Artikel 2

Im Sinne dieses Übereinkommens

a) umfaßt der Ausdruck „Bauwesen":

i) den Hochbau, einschließlich der Ausschachtung und der Errichtung, des Umbaus, der Renovierung, der Ausbesserung, der Instandhaltung (einschließlich Reinigungs- und Anstricharbeiten) sowie des Abbruchs von Gebäuden oder Bauwerken jeder Art;

ii) den Tiefbau, einschließlich der Ausschachtung und der Errichtung des Umbaus, der Ausbesserung, der Instandhaltung und des Abbruchs beispielsweise von Flughäfen, Docks, Häfen, Binnenwasserstraßen, Talsperren, Stromufer-, Lawinen- und Küstenschutzbauwerken, Straßen und Autobahnen, Eisenbahnen, Brücken, Tunneln, Viadukten und Bauwerken für die Bereitstellung von Dienstleistungen wie Nachrichtenverbindungen, Entwässerung, Abwasserbeseitigung, Wasser- und Energieversorgung;

iii) die Montage und Demontage von Gebäuden und Bauwerken aus Fertigteilen sowie die Herstellung von Fertigbauteilen auf der Baustelle;

b) bezeichnet der Ausdruck „Baustelle" jede Stelle, an der in Buchstabe a) beschriebene Verfahren oder Arbeiten durchgeführt werden;

c) umfaßt der Ausdruck „Arbeitsplatz" alle Orte, wo Arbeitnehmer sich auf Grund ihrer Arbeit aufhalten oder hinbegeben müssen und die dem Verfügungsrecht eines Arbeitgebers im Sinne des Buchstabens e) unterliegen;

d) bezeichnet der Ausdruck „Arbeitnehmer" jede im Bauwesen beschäftigte Person;

e) bezeichnet der Ausdruck „Arbeitgeber":

i) jede natürliche oder juristische Person, die einen oder mehrere Arbeitnehmer auf einer Baustelle beschäftigt; und

ii) je nach den Umständen den Hauptunternehmer, den Unternehmer oder den Subunternehmer;

f) bezeichnet der Ausdruck „fachkundige Person" eine Person, die ausreichende Qualifikationen besitzt, wie geeignete Ausbildung und genügend Kenntnisse, Erfahrung und Fertigkeiten, um die jeweiligen Arbeiten sicher durchführen zu können. Die zuständigen Stellen können geeignete Kriterien für die Bezeichnung solcher Personen festlegen und die ihnen zu übertragenden Aufgaben bestimmen;

g) umfaßt der Ausdruck „Gerüst" jede feste, hängende oder bewegliche zeitweilige Konstruktion und deren Stützteile, die dazu dient, Arbeitnehmer und Materialien zu tragen oder Zugang zu einer solchen Konstruktion zu verschaffen, und die kein „Hebezeug" im Sinne des Buchstabens h) ist;

h) bezeichnet der Ausdruck „Hebezeug" alle ortsfesten oder ortsveränderlichen Vorrichtungen, die zum Heben oder Senken von Personen oder Lasten verwendet werden;

i) bezeichnet der Ausdruck „Lastaufnahmemittel" alle Mittel, die zum Anschlagen einer Last an einem Hebezeug verwendet werden können, aber keinen Bestandteil des Hebezeugs oder der Last bilden.



II. Allgemeine Bestimmungen

Artikel 3

Die in Betracht kommenden maßgebenden Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer sind zu den Maßnahmen anzuhören, die zur Durchführung der Bestimmungen dieses Übereinkommens zu treffen sind.



Artikel 4

Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, auf Grund einer Beurteilung der bestehenden Gefahren für Sicherheit und Gesundheit eine Gesetzgebung zu erlassen und beizubehalten, durch die die Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens sichergestellt wird.



Artikel 5

1. Die gemäß Artikel 4 erlassene Gesetzgebung kann vorsehen, daß sie durch technische Normen oder Sammlungen praktischer Richtlinien oder durch andere geeignete, den innerstaatlichen Verhältnissen und Gepflogenheiten entsprechende Methoden durchgeführt wird.

2. Bei der Durchführung des Artikels 4 und des Absatzes 1 dieses Artikels hat jedes Mitglied die von anerkannten internationalen Organisationen auf dem Gebiet der Normung angenommenen einschlägigen Normen zu berücksichtigen.



Artikel 6

Es sind Maßnahmen zu treffen, um für eine Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in einer durch die innerstaatliche Gesetzgebung festzulegenden Form zu sorgen, damit Sicherheit und Gesundheit auf den Baustellen gefördert werden.



Artikel 7

Die innerstaatliche Gesetzgebung hat vorzuschreiben, daß Arbeitgeber und selbständig Erwerbstätige verpflichtet sind, die vorgeschriebenen Arbeitsschutzmaßnahmen am Arbeitsplatz einzuhalten.



Artikel 8

1. Wenn zwei oder mehrere Arbeitgeber gleichzeitig auf einer Baustelle Arbeiten ausführen,

a) ist der Hauptunternehmer oder eine andere Person oder Stelle, der die tatsächliche Leitung der Gesamtheit der Baustellentätigkeiten oder die Hauptverantwortung für diese Tätigkeiten obliegt, für die Koordinierung der vorgeschriebenen Arbeitsschutzmaßnahmen und, soweit dies mit der innerstaatlichen Gesetzgebung im Einklang steht, für die Einhaltung dieser Maßnahmen verantwortlich;

b) hat, soweit dies mit der innerstaatlichen Gesetzgebung im Einklang steht, der Hauptunternehmer oder die andere Person oder Stelle, der die tatsächliche Leitung der Gesamtheit der Baustellentätigkeiten oder die Hauptverantwortung für diese Tätigkeiten obliegt, falls er auf der Baustelle nicht anwesend ist, eine fachkundige Person oder Stelle auf der Baustelle zu benennen, die über die erforderlichen Befugnisse und Mittel verfügt, um in seinem Namen die in Buchstabe a) vorgesehene Koordinierung und Einhaltung der Maßnahmen sicherzustellen;

c) bleibt jeder Arbeitgeber für die Anwendung der vorgeschriebenen Maßnahmen in bezug auf die ihm unterstellten Arbeitnehmer verantwortlich.

2. Wenn Arbeitgeber oder selbständig Erwerbstätige gleichzeitig auf einer Baustelle Arbeiten ausführen, sind sie verpflichtet, entsprechend den Vorschriften der innerstaatlichen Gesetzgebung bei der Anwendung der vorgeschriebenen Arbeitsschutzmaßnahmen zusammenzuarbeiten.



Artikel 9

Die für den Entwurf und die Planung eines Bauprojekts zuständigen Personen haben der Sicherheit und Gesundheit der Bauarbeiter gemäß der innerstaatlichen Gesetzgebung und Praxis Rechnung zu tragen.



Artikel 10

Die innerstaatliche Gesetzgebung hat vorzusehen, daß die Arbeitnehmer an jedem Arbeitsplatz das Recht und die Pflicht haben, im Rahmen ihrer Befugnisse im Bereich der Ausrüstung und der Arbeitsmethoden an der Gewährleistung der Arbeitssicherheit mitzuwirken und sich zu den eingeführten Arbeitsverfahren zu äußern, soweit sie die Sicherheit und Gesundheit berühren können.



Artikel 11

Die innerstaatliche Gesetzgebung hat vorzusehen, daß die Arbeitnehmer verpflichtet sind,

a) mit ihrem Arbeitgeber bei der Anwendung der vorgeschriebenen Arbeitsschutzmaßnahmen so eng wie möglich zusammenzuarbeiten;

b) in angemessener Weise für ihre eigene Sicherheit und Gesundheit und für die Sicherheit und Gesundheit anderer Personen, die von ihren Handlungen oder Unterlassungen bei der Arbeit betroffen werden können, Sorge zu tragen;

c) von den ihnen zur Verfügung gestellten Mitteln Gebrauch zu machen und die zu ihrem Schutz oder zum Schutz anderer Personen vorgesehenen Mittel nicht mißbräuchlich zu benutzen;

d) ihrem unmittelbaren Vorgesetzten und dem Sicherheitsbeauftragten der Arbeitnehmer, sofern ein solcher vorhanden ist, unverzüglich jede Situation zu melden, die ihrer Ansicht nach eine Gefahr darstellen könnte und die sie selbst nicht in angemessener Weise bewältigen können;

e) die vorgeschriebenen Arbeitsschutzmaßnahmen einzuhalten.



Artikel 12

1. Die innerstaatliche Gesetzgebung hat vorzusehen, daß ein Arbeitnehmer das Recht hat, sich außer Gefahr zu bringen, wenn er guten Grund zu der Annahme hat, daß eine unmittelbare und erhebliche Gefahr für seine Sicherheit oder Gesundheit besteht, und daß er verpflichtet ist, seinen Vorgesetzten unverzüglich davon zu unterrichten.

2. Wenn eine unmittelbare Gefahr für die Sicherheit der Arbeitnehmer besteht, hat der Arbeitgeber unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen, um die Arbeiten einzustellen und die Arbeitnehmer gegebenenfalls zu evakuieren.



III. Verhütungs- und Schutzmaßnahmen

Artikel 13

Sicherheit der Arbeitsplätze

1. Es sind alle geeigneten Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, daß alle Arbeitsplätze sicher und frei von Risiken für die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer sind.

2. Für alle Arbeitsplätze sind sichere Zu- und Abgänge, die gegebenenfalls zu kennzeichnen sind, vorzusehen und zu unterhalten.

3. Es sind alle geeigneten Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, um die sich auf oder in der Nähe einer Baustelle aufhaltenden Personen gegen alle Gefahren zu schützen, die von einer solchen Baustelle ausgehen können.



Artikel 14

Gerüste und Leitern

1. Wo Arbeiten nicht gefahrlos auf dem Boden oder vom Boden aus oder von einem Teil eines Gebäudes oder sonstigen ständigen Bauwerks aus durchgeführt werden können, ist ein sicheres und geeignetes Gerüst bereitzustellen und zu unterhalten oder sind andere ebenso sichere und geeignete Vorkehrungen zu treffen.

2. Falls keine anderen sicheren Zugänge zu höhergelegenen Arbeitsplätzen vorhanden sind, sind geeignete und einwandfreie Leitern bereitzustellen. Sie sind gegen unbeabsichtigte Bewegungen ordnungsgemäß zu sichern.

3. Alle Gerüste und Leitern sind gemäß der innerstaatlichen Gesetzgebung zu bauen und zu verwenden.

4. Die Gerüste sind von einer fachkundigen Person in den Fällen und zu den Zeiten zu überprüfen, die durch die innerstaatliche Gesetzgebung vorgeschrieben werden.



Artikel 15

Hebezeuge und Lastaufnahmemittel

1. Jedes Hebezeug und jedes Lastaufnahmemittel, einschließlich seiner Bestandteile, Befestigungen, Verankerungen und Abstützungen, muß

a) von einwandfreier Konstruktion und Bauart sein, aus einwandfreiem Material hergestellt und von ausreichender Festigkeit für den jeweiligen Verwendungszweck sein;

b) ordnungsgemäß installiert und verwendet werden;

c) in einwandfreiem Betriebszustand gehalten werden;

d) von einer fachkundigen Person zu den Zeiten und in den Fällen untersucht und geprüft werden, die durch die innerstaatliche Gesetzgebung vorgeschrieben werden; die Ergebnisse dieser Untersuchungen und Prüfungen sind aufzuzeichnen;

e) von Arbeitnehmern bedient werden, die eine geeignete Ausbildung gemäß der innerstaatlichen Gesetzgebung erhalten haben.

2. Personen dürfen nur dann mit einem Hebezeug gehoben, gesenkt oder befördert werden, wenn es gemäß der innerstaatlichen Gesetzgebung für diesen Zweck gebaut, installiert und verwendet wird, ausgenommen in einem Notfall, bei dem es zu einer schweren Verletzung oder zu einem tödlichen Unfall kommen und für den das Hebezeug gefahrlos verwendet werden kann.



Artikel 16

Transport-, Erdbewegungs- und Fördergeräte

1. Alle Fahrzeuge sowie Erdbewegungs- und Fördergeräte müssen

a) von einwandfreier Konstruktion und Bauart sein, wobei soweit wie möglich ergonomische Grundsätze zu berücksichtigen sind;

b) in einwandfreiem Betriebszustand gehalten werden;

c) ordnungsgemäß verwendet werden;

d) von Arbeitnehmern bedient werden, die eine geeignete Ausbildung gemäß der innerstaatlichen Gesetzgebung erhalten haben.

2. Auf allen Baustellen, auf denen Fahrzeuge, Erdbewegungs- oder Fördergeräte verwendet werden,

a) müssen sichere und geeignete Zufahrten für sie vorgesehen werden;

b) ist der Verkehr so zu organisieren und zu regeln, daß ihr sicherer Betrieb gewährleistet ist.



Artikel 17

Anlagen, Maschinen, Ausrüstungen und Handwerkzeuge

1. Anlagen, Maschinen und Ausrüstungen, einschließlich Handwerkzeugen mit oder ohne Motor,

a) müssen von einwandfreier Konstruktion und Bauart sein, wobei soweit wie möglich ergonomische Grundsätze zu berücksichtigen sind;

b) müssen in einwandfreiem Betriebszustand gehalten werden;

c) dürfen nur für Arbeiten verwendet werden, für die sie konstruiert worden sind, es sei denn, daß eine Verwendung für einen anderen als den ursprünglichen Konstruktionszweck von einer fachkundigen Person begutachtet und für gefahrlos befunden worden ist;

d) müssen von Arbeitnehmern bedient werden, die eine geeignete Ausbildung erhalten haben.

2. Der Hersteller oder der Arbeitgeber hat gegebenenfalls ausreichende Anleitungen für eine gefahrlose Verwendung in einer für die Benutzer verständlichen Form bereitzustellen.

3. Druckanlagen und -geräte sind von einer fachkundigen Person in den Fällen und zu den Zeiten zu prüfen und zu untersuchen, die durch die innerstaatliche Gesetzgebung vorgeschrieben werden.



Artikel 18

Arbeiten in Höhen, einschließlich Dacharbeiten

1. Wo es zur Vermeidung einer Gefahr erforderlich ist oder wo die durch die innerstaatliche Gesetzgebung festgelegte Höhe oder Neigung eines Bauwerks überschritten wird, sind Verhütungsmaßnahmen gegen den Absturz von Arbeitnehmern und das Herabfallen von Werkzeugen, sonstigen Gegenständen oder Materialien zu treffen.

2. Wo Arbeitnehmer auf oder in der Nähe von Dächern oder anderen Flächen arbeiten müssen, die mit zerbrechlichem Material eingedeckt sind, durch das sie abstürzen können, sind Verhütungsmaßnahmen zu treffen, damit sie nicht versehentlich auf das zerbrechliche Material treten oder durch dieses hindurchfallen.



Artikel 19

Baugruben, Schächte, Aushübe, unterirdische Arbeiten und Tunnel

Es sind ausreichende Vorsichtsmaßnahmen in Baugruben, Schächten, Aushüben, bei unterirdischen Arbeiten und in Tunneln zu treffen, um

a) durch geeignete Abstützung oder auf andere Weise zu vermeiden, daß Arbeitnehmer durch abstürzende oder sich lösende Erdmassen, Gesteine oder sonstige Materialien gefährdet werden;

b) die Gefahren zu vermeiden, die sich aus dem Absturz von Personen, Materialien oder Gegenständen oder aus dem Einbruch von Wasser in die Baugruben, Schächte, Aushübe, unterirdischen Arbeiten oder Tunnel ergeben;

c) eine ausreichende Be- und Entlüftung aller Arbeitsplätze sicherzustellen, damit eine als Atemluft geeignete Atmosphäre aufrechterhalten wird und Rauch, Gase, Dämpfe, Stäube oder sonstige Verunreinigungen auf Werten gehalten werden, die nicht gefährlich oder gesundheitsschädlich sind und innerhalb der durch die innerstaatliche Gesetzgebung festgelegten Grenzwerte liegen;

d) es den Arbeitnehmern zu ermöglichen, sich im Falle eines Brandes oder eines Wasser- oder Materialeinbruchs in Sicherheit zu bringen;

e) eine Gefährdung von Arbeitnehmern zu vermeiden, die sich aus unterirdischen Gefahren ergeben kann, wie dem Umlauf von Flüssigkeiten oder dem Vorhandensein von Gasblasen, indem entsprechende Untersuchungen vorgenommen werden, um sie aufzuspüren.



Artikel 20

Fangdämme und Senkkästen

1. Jeder Fangdamm und jeder Senkkasten muß

a) von einwandfreier Bauart sein, aus geeignetem und einwandfreiem Material hergestellt und von ausreichender Festigkeit sein;

b) mit ausreichenden Vorrichtungen versehen sein, damit sich Arbeitnehmer im Falle eines Wasser- oder Materialeinbruchs in Sicherheit bringen können.

2. Der Bau, die Positionierung, die Änderung oder der Abbruch eines Fangdamms oder eines Senkkastens darf nur unter der unmittelbaren Aufsicht einer fachkundigen Person erfolgen.

3. Jeder Fangdamm und jeder Senkkasten ist in vorgeschriebenen Zeitabständen von einer fachkundigen Person zu überprüfen.



Artikel 21

Arbeiten in Druckluft

1. Arbeiten in Druckluft dürfen nur in Übereinstimmung mit den durch die innerstaatliche Gesetzgebung vorgeschriebenen Maßnahmen durchgeführt werden.

2. Arbeiten in Druckluft dürfen nur von Arbeitnehmern, deren Tauglichkeit für solche Arbeiten durch eine medizinische Untersuchung nachgewiesen worden ist, und nur in Anwesenheit einer fachkundigen Person, die die Abwicklung der Arbeiten beaufsichtigt, durchgeführt werden.



Artikel 22

Rahmen und Schalungen

1. Die Errichtung von Rahmen und Bauteilen, Schalungen, Schalgerüsten und Abstützungen darf nur unter der Aufsicht einer fachkundigen Person durchgeführt werden.

2. Es sind ausreichende Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, um eine Gefährdung von Arbeitnehmern infolge einer vorübergehenden Schwäche oder Instabilität eines Bauwerks zu vermeiden.

3. Schalungen, Schalgerüste und Abstützungen sind so auszulegen, zu bauen und zu unterhalten, daß sie allen Belastungen, denen sie ausgesetzt sein können, sicher standhalten.



Artikel 23

Arbeiten über Wasser

Wo Arbeiten über Wasser oder in unmittelbarer Nähe von Wasser verrichtet werden, sind ausreichende Vorkehrungen zu treffen, damit

a) verhindert wird, daß Arbeitnehmer in das Wasser fallen;

b) Arbeitnehmer in Ertrinkungsgefahr gerettet werden können;

c) sichere und ausreichende Transportmittel bereitstehen.



Artikel 24

Abbrucharbeiten

Wenn der Abbruch eines Gebäudes oder Bauwerks eine Gefahr für die Arbeitnehmer oder die Öffentlichkeit darstellen könnte,

a) sind geeignete Vorsichtsmaßnahmen, Methoden und Verfahren, einschließlich jener für die Beseitigung von Abfall oder Rückständen, gemäß der innerstaatlichen Gesetzgebung anzuwenden;

b) dürfen die Arbeiten nur unter der Aufsicht einer fachkundigen Person geplant und durchgeführt werden.



Artikel 25

Beleuchtung

Alle Arbeitsplätze und alle sonstigen Plätze auf der Baustelle, an denen Arbeitnehmer unter Umständen vorbeigehen müssen, sind in geeigneter Weise und ausreichend zu beleuchten, gegebenenfalls auch durch transportable Beleuchtungseinrichtungen.



Artikel 26

Elektrizität

1. Alle elektrischen Ausrüstungen und Anlagen sind von einer fachkundigen Person auszuführen, zu montieren und zu unterhalten und so zu verwenden, daß Gefahr vermieden wird.

2. Vor Beginn und während der Bauarbeiten sind geeignete Maßnahmen zu treffen, um festzustellen, ob unter, über oder auf der Baustelle stromführende elektrische Kabel oder Geräte vorhanden sind, und um eine Gefährdung von Arbeitnehmern durch sie zu verhindern.

3. Die Installierung und die Instandhaltung von elektrischen Kabeln und Geräten auf Baustellen haben nach den auf nationaler Ebene angewendeten technischen Regeln und Normen zu erfolgen.



Artikel 27

Sprengstoffe

Sprengstoffe dürfen nur gelagert, befördert, gehandhabt oder verwendet werden:

a) unter den durch die innerstaatliche Gesetzgebung vorgeschriebenen Bedingungen; und

b) von einer fachkundigen Person, die die erforderlichen Maßnahmen zu treffen hat, um zu gewährleisten, daß Arbeitnehmer und andere Personen keiner Verletzungsgefahr ausgesetzt werden.



Artikel 28

Gesundheitsgefahren

1. Wo ein Arbeitnehmer chemischen, physikalischen oder biologischen Gefahren in einem gesundheitsgefährdenden Ausmaß ausgesetzt werden kann, sind geeignete Verhütungsmaßnahmen gegen eine solche Exposition zu treffen.

2. Die in Absatz 1 erwähnten Verhütungsmaßnahmen haben zu umfassen:

a) das Ersetzen gefährlicher Stoffe durch unschädliche oder weniger schädliche Stoffe, wo immer dies möglich ist; oder

b) technische Maßnahmen an den Anlagen, Maschinen, Geräten oder Verfahren; oder

c) soweit den Erfordernissen der Buchstaben a) oder b) nicht entsprochen werden kann, andere wirksame Maßnahmen, einschließlich der Verwendung persönlicher Schutzausrüstung und Schutzkleidung.

3. Wenn Arbeitnehmer Bereiche betreten müssen, in denen giftige oder schädliche Stoffe vorhanden sein können oder Sauerstoffmangel oder eine entzündliche Atmosphäre herrschen kann, sind ausreichende Maßnahmen zu treffen, um Gefahr zu vermeiden.

4. Abfall darf auf einer Baustelle nicht in einer Weise vernichtet oder beseitigt werden, die gesundheitsschädlich sein könnte.



Artikel 29

Brandschutz

1. Der Arbeitgeber hat alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um

a) Feuergefahr zu vermeiden;

b) jedes ausgebrochene Feuer rasch und wirksam zu bekämpfen;

c) für eine rasche und sichere Evakuierung von Personen zu sorgen.

2. Es ist für eine ausreichende und geeignete Lagerung von leicht entzündlichen Flüssigkeiten, Feststoffen und Gasen zu sorgen.



Artikel 30

Persönliche Schutzausrüstung und Schutzkleidung

1. Wenn ein angemessener Schutz gegen Unfall- oder Gesundheitsgefahren, einschließlich der Einwirkung widriger Bedingungen, nicht durch andere Mittel gewährleistet werden kann, hat entsprechend den Vorschriften der innerstaatlichen Gesetzgebung der Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Art der Arbeit oder der Gefahren geeignete persönliche Schutzausrüstung und Schutzkleidung zur Verfügung zu stellen und instand zu halten, ohne daß den Arbeitnehmern dadurch Kosten entstehen.

2. Der Arbeitgeber hat die Arbeitnehmer mit den entsprechenden Mitteln zu versehen, um ihnen die Verwendung der persönlichen Schutzausrüstung zu ermöglichen, und hat für ihre ordnungsgemäße Benutzung zu sorgen.

3. Die Schutzausrüstung und Schutzkleidung hat den von der zuständigen Stelle festgelegten Normen zu entsprechen, wobei soweit wie möglich ergonomische Grundsätze zu berücksichtigen sind.

4. Die Arbeitnehmer sind dazu anzuhalten, die ihnen zur Verfügung gestellte persönliche Schutzausrüstung und Schutzkleidung ordnungsgemäß zu benutzen und sorgfältig damit umzugehen.



Artikel 31

Erste Hilfe

Der Arbeitgeber ist dafür verantwortlich sicherzustellen, daß jederzeit Erste Hilfe, einschließlich ausgebildeten Personals, zur Verfügung steht. Es sind Vorkehrungen zu treffen, um zwecks ärztlicher Behandlung den Abtransport von Arbeitnehmern sicherzustellen, die einen Unfall erlitten haben oder plötzlich erkrankt sind.



Artikel 32

Sozialeinrichtungen

1. Auf jeder Baustelle oder in angemessener Entfernung davon ist eine ausreichende Versorgung mit einwandfreiem Trinkwasser sicherzustellen.

2. Auf jeder Baustelle oder in angemessener Entfernung davon sind je nach der Anzahl der Arbeitnehmer und der Dauer der Arbeiten die folgenden Einrichtungen zur Verfügung zu stellen und zu unterhalten:

a) sanitäre Einrichtungen und Waschgelegenheiten;

b) Einrichtungen zum Umziehen und zum Aufbewahren und Trocknen von Kleidung;

c) Räume für die Einnahme von Mahlzeiten und für den Aufenthalt bei witterungsbedingten Arbeitsunterbrechungen.

3. Männlichen und weiblichen Arbeitnehmern sollten getrennte sanitäre Einrichtungen und Waschgelegenheiten zur Verfügung gestellt werden.



Artikel 33

Information und Ausbildung

Die Arbeitnehmer sind in ausreichender und geeigneter Weise

a) über die möglichen Gefahren für ihre Sicherheit und Gesundheit aufzuklären, denen sie am Arbeitsplatz ausgesetzt sein können;

b) in den Maßnahmen zu unterweisen und auszubilden, die ihnen zur Verhütung und Bekämpfung dieser Gefahren sowie zum Schutz gegen diese Gefahren zur Verfügung stehen.



Artikel 34

Meldung von Unfällen und Krankheiten

Die innerstaatliche Gesetzgebung hat vorzusehen, daß Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten innerhalb einer vorgeschriebenen Frist der zuständigen Stelle zu melden sind.



IV. Durchführung

Artikel 35

Jedes Mitglied hat

a) alle zur wirksamen Durchführung der Bestimmungen des Übereinkommens erforderlichen Maßnahmen, einschließlich geeigneter Zwangsmaßnahmen und Abhilfemaßnahmen, zu treffen;

b) geeignete Aufsichtsdienste mit der Überwachung der Durchführung der gemäß dem Übereinkommen zu treffenden Maßnahmen zu beauftragen und diese Dienste mit den zur Erfüllung ihrer Aufgabe erforderlichen Mitteln auszustatten oder sich zu vergewissern, daß eine ordnungsgemäße Aufsicht ausgeübt wird.



V. Schlußbestimmungen

Artikel 36

Durch dieses Übereinkommen wird das Übereinkommen über Unfallverhütungsvorschriften (Hochbau), 1937, neugefaßt.



Artikel 37

Die förmlichen Ratifikationen dieses Übereinkommens sind dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes zur Eintragung mitzuteilen.



Artikel 38

1. Dieses Übereinkommen bindet nur diejenigen Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation, deren Ratifikation durch den Generaldirektor eingetragen ist.

2. Es tritt, zwölf Monate nachdem die Ratifikationen zweier Mitglieder durch den Generaldirektor eingetragen worden sind, in Kraft.

3. In der Folge tritt dieses Übereinkommen für jedes Mitglied zwölf Monate nach der Eintragung seiner Ratifikation in Kraft.



Artikel 39

1. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren seit seinem erstmaligen Inkrafttreten durch förmliche Mitteilung an den Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes kündigen. Die Kündigung wird von diesem eingetragen. Sie wird erst ein Jahr nach der Eintragung wirksam.

2. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat und binnen eines Jahres nach Ablauf der in Absatz 1 genannten zehn Jahre von dem in diesem Artikel vorgesehenen Kündigungsrecht keinen Gebrauch macht, bleibt für weitere zehn Jahre gebunden. In der Folge kann es dieses Übereinkommen jeweils nach Ablauf von zehn Jahren nach Maßgabe dieses Artikels kündigen.



Artikel 40

1. Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes gibt allen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation Kenntnis von der Eintragung aller Ratifikationen und Kündigungen, die ihm von den Mitgliedern der Organisation mitgeteilt werden.

2. Der Generaldirektor wird die Mitglieder der Organisation, wenn er ihnen von der Eintragung der zweiten Ratifikation, die ihm mitgeteilt wird, Kenntnis gibt, auf den Zeitpunkt aufmerksam machen, zu dem dieses Übereinkommen in Kraft tritt.



Artikel 41

Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes übermittelt dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zur Eintragung nach Artikel 102 der Charta der Vereinten Nationen vollständige Auskünfte über alle von ihm nach Maßgabe der vorausgehenden Artikel eingetragenen Ratifikationen und Kündigungen.



Artikel 42

Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes erstattet der Allgemeinen Konferenz, wann immer er es für nötig erachtet, einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens und prüft, ob die Frage seiner gänzlichen oder teilweisen Neufassung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.



Artikel 43

1. Nimmt die Konferenz ein neues Übereinkommen an, welches das vorliegende Übereinkommen ganz oder teilweise neufaßt, und sieht das neue Übereinkommen nichts anderes vor, so gilt folgendes:

a) Die Ratifikation des neugefaßten Übereinkommens durch ein Mitglied hat ungeachtet des Artikels 39 ohne weiteres die Wirkung einer sofortigen Kündigung des vorliegenden Übereinkommens, sofern das neugefaßte Übereinkommen in Kraft getreten ist.

b) Vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des neugefaßten Übereinkommens an kann das vorliegende Übereinkommen von den Mitgliedern nicht mehr ratifiziert werden.

2. In jedem Fall bleibt das vorliegende Übereinkommen nach Form und Inhalt für diejenigen Mitglieder in Kraft, die dieses, nicht jedoch das neugefaßte Übereinkommen ratifiziert haben.



Artikel 44

Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise verbindlich.