INTERNATIONALE ARBEITSORGANISATION

Übereinkommen 149

Übereinkommen über die Beschäftigung und die Arbeits- und Lebensbedingungen des Krankenpflegepersonals, 1977

Dieses Übereinkommen ist am 11. Juli 1979 in Kraft getreten.
Ort:Genf 
Tagung:63 

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation,

die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 1. Juni 1977 zu ihrer dreiundsechzigsten Tagung zusammengetreten ist,

erkennt die lebenswichtige Rolle an, die das Krankenpflegepersonal gemeinsam mit den anderen im Gesundheitswesen tätigen Arbeitnehmern beim Schutz und der Verbesserung der Gesundheit und des Wohls der Bevölkerung spielt;

erkennt an, daß die öffentlichen Stellen als Arbeitgeber des Krankenpflegepersonals bei der Verbesserung der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen des Krankenpflegepersonals eine aktive Rolle spielen sollten;

stellt fest, daß die gegenwärtige Lage des Krankenpflegepersonals in zahlreichen Ländern, in denen ein Mangel an qualifizierten Personen besteht und das verfügbare Personal nicht immer in der wirksamsten Weise eingesetzt wird, ein Hindernis für die Entwicklung leistungsfähiger Gesundheitsdienste darstellt;

erinnert daran, daß für das Krankenpflegepersonal zahlreiche internationale Arbeitsübereinkommen und Empfehlungen gelten, die allgemeine Normen in bezug auf die Beschäftigung und die Arbeitsbedingungen festlegen, wie z.B. die Urkunden über die Diskriminierung, die Vereinigungsfreiheit und das Recht zu Kollektivverhandlungen, das freiwillige Einigungs- und Schiedsverfahren, die Arbeitszeit, den bezahlten Urlaub und den bezahlten Bildungsurlaub, die Soziale Sicherheit und Sozialeinrichtungen, den Mutterschutz und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer;

hält es auf Grund der besonderen Verhältnisse, unter denen die Krankenpflege ausgeübt wird, für angebracht, die oben angeführten allgemeinen Normen durch besondere Normen für das Krankenpflegepersonal zu ergänzen, die diesem einen Status sichern sollen, der seiner Rolle auf dem Gebiet des Gesundheitswesens entspricht und von ihm akzeptiert werden kann;

stellt fest, daß die nachstehend angeführten Normen in Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation ausgearbeitet worden sind und daß die Zusammenarbeit mit dieser Organisation fortgesetzt werden wird, um die Anwendung dieser Normen zu fördern und zu gewährleisten;

hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend die Beschäftigungslage und die Arbeits- und Lebensbedingungen des Krankenpflegepersonals, eine Frage, die den sechsten Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und

dabei bestimmt, daß diese Anträge die Form eines internationalen Übereinkommens erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 21. Juni 1977, das folgende Übereinkommen an, das als Übereinkommen über das Krankenpflegepersonal, 1977, bezeichnet wird.



Artikel 1

1. Im Sinne dieses Übereinkommens bezeichnet der Ausdruck „Krankenpflegepersonal" alle Personengruppen, die Krankenpflege und Krankenpflegedienste leisten.

2. Dieses Übereinkommen gilt für das gesamte Krankenpflegepersonal, wo immer es seine Tätigkeit ausübt.

3. Die zuständige Stelle kann nach Anhörung der beteiligten Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer, soweit solche bestehen, Sondervorschriften für Krankenpflegepersonal erlassen, das unentgeltlich Krankenpflege und Krankenpflegedienste leistet; diese Vorschriften dürfen nicht von den Bestimmungen der Artikel 2 Absatz 2 a), Artikel 3, Artikel 4 und Artikel 7 dieses Übereinkommens abweichen.



Artikel 2

1. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, hat in einer den innerstaatlichen Verhältnissen entsprechenden Weise eine Politik auf dem Gebiet der Krankenpflegedienste und des Krankenpflegepersonals festzulegen und anzuwenden, die im Rahmen eines gegebenenfalls bestehenden allgemeinen Gesundheitsprogramms und der für die Gesundheitspflege insgesamt verfügbaren Mittel darauf abzielt, der Bevölkerung die quantitativ und qualitativ erforderliche Krankenpflege zu gewährleisten, mit der der höchstmögliche Stand der Volksgesundheit erreicht werden kann.

2. Insbesondere hat das Mitglied die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um dem Krankenpflegepersonal

a) eine für die Erfüllung seiner Aufgaben geeignete Bildung und Ausbildung zu vermitteln und

b) Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich Berufsaussichten und Entgelt, zu sichern,

die einen Anreiz bieten, in den Beruf einzutreten und ihn weiter auszuüben.

3. Die in Absatz 1 dieses Artikels erwähnte Politik ist in Beratung mit den beteiligten Verbänden der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer, soweit solche bestehen, auszuarbeiten.

4. Diese Politik ist in Beratung mit den beteiligten Verbänden der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer mit den Maßnahmen zu koordinieren, die in bezug auf andere Aspekte des Gesundheitswesens und andere im Gesundheitswesen tätige Arbeitnehmer getroffen werden.



Artikel 3

1. Die Grundvoraussetzungen für die Bildung und Ausbildung des Krankenpflegepersonals und die Beaufsichtigung dieser Bildung und Ausbildung sind durch die innerstaatliche Gesetzgebung oder durch die zuständige Stelle oder die zuständigen Fachorgane, die gemäß dieser Gesetzgebung hierzu befugt sind, festzulegen.

2. Die Bildung und Ausbildung des Krankenpflegepersonals sind mit der Bildung und Ausbildung der übrigen im Gesundheitswesen tätigen Arbeitnehmer zu koordinieren.



Artikel 4

Durch die innerstaatliche Gesetzgebung sind die Voraussetzungen für die Ausübung der Krankenpflege festzulegen und ihre Ausübung auf die Personen zu beschränken, die diese Voraussetzungen erfüllen.



Artikel 5

1. Es sind Maßnahmen zu treffen, um die Mitwirkung des Krankenpflegepersonals bei der Planung der Krankenpflegedienste und die Anhörung dieses Personals bei Entscheidungen, die es betreffen, entsprechend den innerstaatlichen Verhältnissen zu fördern.

2. Die Festsetzung der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen hat vorzugsweise durch Verhandlungen zwischen den beteiligten Verbänden der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer zu erfolgen.

3. Die Beilegung von Streitigkeiten über die Festsetzung der Beschäftigungsbedingungen ist durch Verhandlungen zwischen den Parteien oder in einer Weise, die vom Vertrauen der beteiligten Parteien getragen wird, durch unabhängige und unparteiische Verfahren, wie Vermittlung, Schlichtung und freiwilliges Schiedsverfahren, anzustreben.



Artikel 6

Dem Krankenpflegepersonal sind auf den folgenden Gebieten Bedingungen zu gewähren, die denjenigen der anderen Arbeitnehmer in dem betreffenden Land mindestens gleichwertig sind:

a) Arbeitszeit, einschließlich der Regelung und Vergütung von Überstunden, unbequemen oder beschwerlichen Arbeitszeiten und Schichtarbeit;

b) wöchentliche Ruhezeit;

c) bezahlter Jahresurlaub;

d) Bildungsurlaub;

e) Mutterschaftsurlaub;

f) krankheitsbedingte Abwesenheit;

g) Soziale Sicherheit.



Artikel 7

Jedes Mitglied hat sich, wenn notwendig, zu bemühen, die bestehende Arbeitsschutzgesetzgebung durch Anpassung an die Besonderheiten der Krankenpflegetätigkeit und der Umwelt, in der sie ausgeübt wird, zu verbessern.



Artikel 8

Die Bestimmungen dieses Übereinkommens sind durch die innerstaatliche Gesetzgebung durchzuführen, soweit ihre Durchführung nicht durch Gesamtarbeitsverträge, betriebliche Regelungen, Schiedssprüche oder gerichtliche Entscheidungen oder auf irgendeine andere, den innerstaatlichen Gepflogenheiten entsprechende Art und Weise erfolgt, die unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse jedes Landes geeignet erscheint.



Artikel 9

Die förmlichen Ratifikationen dieses Übereinkommens sind dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes zur Eintragung mitzuteilen.



Artikel 10

1. Dieses Übereinkommen bindet nur diejenigen Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation, deren Ratifikation durch den Generaldirektor eingetragen ist.

2. Es tritt in Kraft zwölf Monate nachdem die Ratifikationen zweier Mitglieder durch den Generaldirektor eingetragen worden sind.

3. In der Folge tritt dieses Übereinkommen für jedes Mitglied zwölf Monate nach der Eintragung seiner Ratifikation in Kraft.



Artikel 11

1. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren, gerechnet von dem Tag, an dem es zum erstenmal in Kraft getreten ist, durch Anzeige an den Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes kündigen. Die Kündigung wird von diesem eingetragen. Ihre Wirkung tritt erst ein Jahr nach der Eintragung ein.

2. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat und innerhalb eines Jahres nach Ablauf des im vorigen Absatz genannten Zeitraumes von zehn Jahren von dem in diesem Artikel vorgesehenen Kündigungsrecht keinen Gebrauch macht, bleibt für einen weiteren Zeitraum von zehn Jahren gebunden. In der Folge kann es dieses Übereinkommen jeweils nach Ablauf eines Zeitraumes von zehn Jahren nach Maßgabe dieses Artikels kündigen.



Artikel 12

1. Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes gibt allen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation Kenntnis von der Eintragung aller Ratifikationen und Kündigungen, die ihm von den Mitgliedern der Organisation mitgeteilt werden.

2. Der Generaldirektor wird die Mitglieder der Organisation, wenn er ihnen von der Eintragung der zweiten Ratifikation, die ihm mitgeteilt wird, Kenntnis gibt, auf den Zeitpunkt aufmerksam machen, in dem dieses Übereinkommen in Kraft tritt.



Artikel 13

Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes übermittelt dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zwecks Eintragung nach Artikel 102 der Charta der Vereinten Nationen vollständige Auskünfte über alle von ihm nach Maßgabe der vorausgehenden Artikel eingetragenen Ratifikationen und Kündigungen.



Artikel 14

Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat, sooft er es für nötig erachtet, der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens zu erstatten und zu prüfen, ob die Frage seiner gänzlichen oder teilweisen Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.



Artikel 15

1. Nimmt die Konferenz ein neues Übereinkommen an, welches das vorliegende Übereinkommen ganz oder teilweise abändert, und sieht das neue Übereinkommen nichts anderes vor, so gelten folgende Bestimmungen:

a) Die Ratifikation des neugefaßten Übereinkommens durch ein Mitglied schließt ohne weiteres die sofortige Kündigung des vorliegenden Übereinkommens in sich ohne Rücksicht auf Artikel 11, vorausgesetzt, daß das neugefaßte Übereinkommen in Kraft getreten ist.

b) Vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des neugefaßten Übereinkommens an kann das vorliegende Übereinkommen von den Mitgliedern nicht mehr ratifiziert werden.

2. Indessen bleibt das vorliegende Übereinkommen nach Form und Inhalt jedenfalls in Kraft für die Mitglieder, die dieses, aber nicht das neugefaßte Übereinkommen ratifiziert haben.



Artikel 16

Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise maßgebend.