INTERNATIONALE ARBEITSORGANISATION

Übereinkommen 99

Übereinkommen über die Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen in der Landwirtschaft, 1951

Dieses Übereinkommen ist am 23. August 1953 in Kraft getreten.
Ort:Genf 
Tagung:34 

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation,

die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 6. Juni 1951 zu ihrer vierunddreißigsten Tagung zusammengetreten ist,

hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend die Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen in der Landwirtschaft, eine Frage, die den achten Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und

dabei bestimmt, daß diese Anträge die Form eines internationalen Übereinkommens erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 28. Juni 1951, das folgende Übereinkommen an, das als Übereinkommen über die Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen (Landwirtschaft), 1951, bezeichnet wird.



Artikel 1

1. Jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation, das dieses Übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, geeignete Verfahren einzurichten oder beizubehalten, die es gestatten, Mindestlohnsätze für die Arbeitnehmer in landwirtschaftlichen Betrieben und in verwandten Tätigkeiten festzusetzen.

2. Jedem Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, steht es frei, nach Anhörung der maßgebenden beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände, falls solche bestehen, die Betriebe, Tätigkeiten und Personengruppen zu bestimmen, auf welche die im vorstehenden Absatz vorgesehenen Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen anzuwenden sind.

3. Die zuständige Stelle kann von der Anwendung aller oder einzelner Bestimmungen dieses Übereinkommens Personengruppen ausnehmen, auf die diese Bestimmungen infolge ihrer Anstellungsbedingungen unanwendbar sind, wie zum Beispiel die vom Betriebsinhaber beschäftigten Familienangehörigen.



Artikel 2

1. Die innerstaatliche Gesetzgebung, Gesamtarbeitsverträge oder Schiedssprüche können die teilweise Abgeltung des Mindestlohnes durch Sachleistungen in Fällen zulassen, in denen diese Zahlungsweise wünschenswert oder üblich ist.

2. Soweit die teilweise Abgeltung des Mindestlohnes durch Sachleistungen statthaft ist, sind geeignete Maßnahmen zu treffen, damit

a) die Sachleistungen dem persönlichen Gebrauch des Arbeitnehmers und seiner Familie dienen und ihren Bedürfnissen entsprechen,

b) der Wert dieser Leistungen gerecht und angemessen berechnet wird.



Artikel 3

1. Jedem Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, steht es frei, vorbehaltlich der in den folgenden Absätzen genannten Bedingungen, die Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen sowie deren Anwendungsweise zu bestimmen.

2. Bevor darüber entschieden wird, sind die maßgebenden beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände, falls solche bestehen, wie auch nach Ermessen der zuständigen Stelle andere durch ihren Beruf oder ihren Wirkungskreis dazu besonders geeignete Personen eingehend zu Rate zu ziehen.

3. Die beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben an der Durchführung der Verfahren teilzunehmen oder müssen dabei zu Rate gezogen werden oder das Recht haben, angehört zu werden, und zwar in der Form und in dem Maße, wie die innerstaatliche Gesetzgebung dies vorsieht, jedenfalls aber auf dem Fuße völliger Gleichberechtigung.

4. Die festgesetzten Mindestlohnsätze haben für die beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer verbindliche Kraft; sie dürfen nicht unterschritten werden.

5. Die zuständige Stelle kann erforderlichenfalls Einzelausnahmen von den Mindestlohnsätzen zulassen, um eine Verminderung der Beschäftigungsmöglichkeiten für körperlich oder geistig behinderte Arbeitnehmer zu verhüten.



Artikel 4

1. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, hat die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, um sicherzustellen, daß die beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer von den geltenden Mindestlohnsätzen Kenntnis erhalten und daß die wirklich gezahlten Löhne nicht niedriger sind als die geltenden Mindestsätze; diese Maßnahmen haben die erforderlichen, den landwirtschaftlichen Verhältnissen des betreffenden Landes am besten entsprechenden Überwachungs-, Aufsichts- und Zwangsmaßnahmen zu umfassen.

2. Jedem Arbeitnehmer, für den die Mindestlohnsätze gelten, der aber einen geringeren Lohn erhalten hat, ist das Recht zu wahren, im Rechtsweg oder in einem anderen geeigneten Verfahren die Zahlung des ihm gebührenden Lohnrestes innerhalb einer von der innerstaatlichen Gesetzgebung zu bestimmenden Frist zu erwirken.



Artikel 5

Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, hat dem Internationalen Arbeitsamt alljährlich eine allgemeine Darlegung zu übermitteln, die über die Art und Weise der Anwendung sowie über die Ergebnisse der Verfahren Auskunft gibt. Diese Darlegung hat zusammenfassende Angaben über die Tätigkeiten und die ungefähren Zahlen der von der Regelung erfaßten Arbeitnehmer, über die festgesetzten Mindestlohnsätze und gegebenenfalls über die sonstigen für die Mindestlohnregelung besonders wichtigen Umstände zu enthalten.



Artikel 6

Die förmlichen Ratifikationen dieses Übereinkommens sind dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes zur Eintragung mitzuteilen.



Artikel 7

1. Dieses Übereinkommen bindet nur diejenigen Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation, deren Ratifikation durch den Generaldirektor eingetragen ist.

2. Es tritt in Kraft zwölf Monate nachdem die Ratifikationen zweier Mitglieder durch den Generaldirektor eingetragen worden sind.

3. In der Folge tritt dieses Übereinkommen für jedes Mitglied zwölf Monate nach der Eintragung seiner Ratifikation in Kraft.



Artikel 8

1. In den dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes nach Artikel 35 Absatz 2 der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation übermittelten Erklärungen hat das beteiligte Mitglied die Gebiete bekanntzugeben,

a) für die es die Verpflichtung zur unveränderten Durchführung der Bestimmungen des Übereinkommens übernimmt,

b) für die es die Verpflichtung zur Durchführung der Bestimmungen des Übereinkommens mit Abweichungen übernimmt, unter Angabe der Einzelheiten dieser Abweichungen,

c) in denen das Übereinkommen nicht durchgeführt werden kann, und in diesem Fall die Gründe dafür,

d) für die es sich die Entscheidung bis zu einer weiteren Prüfung der Lage in bezug auf die betreffenden Gebiete vorbehält.

2. Die Verpflichtungen nach Absatz 1 a) und b) dieses Artikels gelten als Bestandteil der Ratifikation und haben die Wirkung einer solchen.

3. Jedes Mitglied kann die in der ursprünglichen Erklärung nach Absatz 1 b), c) und d) dieses Artikels mitgeteilten Vorbehalte jederzeit durch eine spätere Erklärung ganz oder teilweise zurückziehen.

4. Jedes Mitglied kann dem Generaldirektor zu jedem Zeitpunkt, in dem das Übereinkommen nach Artikel 10 gekündigt werden kann, eine Erklärung übermitteln, durch die der Inhalt jeder früheren Erklärung in sonstiger Weise abgeändert und die in dem betreffenden Zeitpunkt in bestimmten Gebieten bestehende Lage angegeben wird.



Artikel 9

1. In den dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes nach Artikel 35 Absätze 4 und 5 der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation übermittelten Erklärungen ist anzugeben, ob das Übereinkommen in dem betreffenden Gebiet mit oder ohne Abweichungen durchgeführt wird; besagt die Erklärung, daß die Durchführung des Übereinkommens mit Abweichungen erfolgt, so sind die Einzelheiten dieser Abweichungen anzugeben.

2. Das beteiligte Mitglied, die beteiligten Mitglieder oder die beteiligte internationale Behörde können jederzeit durch eine spätere Erklärung auf das Recht der Inanspruchnahme jeder in einer früheren Erklärung mitgeteilten Abweichung ganz oder teilweise verzichten.

3. Das beteiligte Mitglied, die beteiligten Mitglieder oder die beteiligte internationale Behörde können dem Generaldirektor zu jedem Zeitpunkt, in dem dieses Übereinkommen nach Artikel 10 gekündigt werden kann, eine Erklärung übermitteln, durch die der Inhalt jeder früheren Erklärung in sonstiger Weise abgeändert und die in dem betreffenden Zeitpunkt bestehende Lage in bezug auf die Durchführung dieses Übereinkommens angegeben wird.



Artikel 10

1. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren, gerechnet von dem Tag, an dem es zum erstenmal in Kraft getreten ist, durch Anzeige an den Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes kündigen. Die Kündigung wird von diesem eingetragen. Ihre Wirkung tritt erst ein Jahr nach der Eintragung ein.

2. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat und innerhalb eines Jahres nach Ablauf des im vorigen Absatz genannten Zeitraumes von zehn Jahren von dem in diesem Artikel vorgesehenen Kündigungsrecht keinen Gebrauch macht, bleibt für einen weiteren Zeitraum von zehn Jahren gebunden. In der Folge kann es dieses Übereinkommen jeweils nach Ablauf eines Zeitraumes von zehn Jahren nach Maßgabe dieses Artikels kündigen.



Artikel 11

1. Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes gibt allen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation Kenntnis von der Eintragung aller Ratifikationen, Erklärungen und Kündigungen, die ihm von den Mitgliedern der Organisation mitgeteilt werden.

2. Der Generaldirektor wird die Mitglieder der Organisation, wenn er ihnen von der Eintragung der zweiten Ratifikation, die ihm mitgeteilt wird, Kenntnis gibt, auf den Zeitpunkt aufmerksam machen, in dem dieses Übereinkommen in Kraft tritt.



Artikel 12

Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes übermittelt dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zwecks Eintragung nach Artikel 102 der Charta der Vereinten Nationen vollständige Auskünfte über alle von ihm nach Maßgabe der vorausgehenden Artikel eingetragenen Ratifikationen, Erklärungen und Kündigungen.



Artikel 13

Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat, sooft er es für nötig erachtet, der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens zu erstatten und zu prüfen, ob die Frage seiner gänzlichen oder teilweisen Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.



Artikel 14

1. Nimmt die Konferenz ein neues Übereinkommen an, welches das vorliegende Übereinkommen ganz oder teilweise abändert, und sieht das neue Übereinkommen nichts anderes vor, so gelten folgende Bestimmungen:

a) Die Ratifikation des neugefaßten Übereinkommens durch ein Mitglied schließt ohne weiteres die sofortige Kündigung des vorliegenden Übereinkommens in sich ohne Rücksicht auf Artikel 10, vorausgesetzt, daß das neugefaßte Übereinkommen in Kraft getreten ist.

b) Vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des neugefaßten Übereinkommens an kann das vorliegende Übereinkommen von den Mitgliedern nicht mehr ratifiziert werden.

2. Indessen bleibt das vorliegende Übereinkommen nach Form und Inhalt jedenfalls in Kraft für die Mitglieder, die dieses, aber nicht das neugefaßte Übereinkommen ratifiziert haben.



Artikel 15

Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise maßgebend.