INTERNATIONALE ARBEITSORGANISATION

Übereinkommen 90

Übereinkommen über die Nachtarbeit der Jugendlichen im Gewerbe (abgeänderter Wortlaut vom Jahre 1948), 1948

Dieses Übereinkommen ist am 12. Juni 1951 in Kraft getreten.
Ort:San Francisco 
Tagung:31 

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation,

die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach San Francisco einberufen wurde und am 17. Juni 1948 zu ihrer einunddreißigsten Tagung zusammengetreten ist,

hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend die teilweise Abänderung des von der Konferenz auf ihrer ersten Tagung angenommenen Übereinkommens über die Nachtarbeit der Jugendlichen (Gewerbe), 1919, eine Frage, die den zehnten Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und

dabei bestimmt, daß diese Anträge die Form eines internationalen Übereinkommens erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 10. Juli 1948, das folgende Übereinkommen an, das als Übereinkommen über die Nachtarbeit der Jugendlichen im Gewerbe (Neufassung), 1948, bezeichnet wird.



Teil I. Allgemeine Bestimmungen

Artikel 1

1. Als „gewerbliche Betriebe" im Sinne dieses Übereinkommens gelten insbesondere

a) Bergwerke, Steinbrüche und andere Anlagen zur Gewinnung von Bodenschätzen,

b) Betriebe, in denen Gegenstände hergestellt, umgeändert, gereinigt, ausgebessert, verziert, fertiggestellt, verkaufsbereit gemacht oder abgebrochen werden oder in denen Stoffe umgearbeitet werden, einschließlich Schiffsbaubetriebe und Betriebe zur Erzeugung, Umformung und Übertragung von Elektrizität oder sonstiger motorischer Kraft jeder Art,

c) Betriebe des Hoch- und Tiefbaues, einschließlich Bau-, Ausbesserungs-, Instandhaltungs-, Umbau- und Abbrucharbeiten,

d) Betriebe zur Beförderung von Personen oder Gütern auf Straßen und Eisenbahnen, einschließlich des Verkehrs mit Gütern in Docks, auf Ausladeplätzen, Werften, in Lagerhäusern oder auf Flugplätzen.

2. Die zuständige Stelle bestimmt die Grenze zwischen Gewerbe einerseits, Landwirtschaft, Handel und anderen nichtgewerblichen Arbeiten andererseits.

3. Die innerstaatliche Gesetzgebung kann von der Anwendung dieses Übereinkommens Arbeiten in Familienbetrieben ausnehmen, bei denen nur die Eltern und ihre Kinder oder Pflegekinder tätig sind, soweit diese Arbeiten für Jugendliche nicht als schädlich, nachteilig oder gefährlich erachtet werden.



Artikel 2

1. Als „Nacht" im Sinne dieses Übereinkommens gilt ein Zeitraum von mindestens zwölf aufeinanderfolgenden Stunden.

2. Für Jugendliche unter sechzehn Jahren schließt dieser Zeitraum die Zeit zwischen zehn Uhr abends und sechs Uhr morgens in sich.

3. Für Jugendliche über sechzehn, aber unter achtzehn Jahren umfaßt dieser Zeitraum eine von der zuständigen Stelle bestimmte Zeitspanne von mindestens sieben aufeinanderfolgenden Stunden, die zwischen zehn Uhr abends und sieben Uhr morgens liegt. Die zuständige Stelle kann für bestimmte Gebiete, Gewerbe, Betriebe oder Gewerbe- oder Betriebsgruppen andere Zeitspannen vorschreiben, hat aber vor Festsetzung einer nach elf Uhr abends beginnenden Zeitspanne die beteiligten Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer anzuhören.



Artikel 3

1. Jugendliche unter achtzehn Jahren dürfen während der Nacht in öffentlichen oder privaten gewerblichen Betrieben oder ihren Nebenbetrieben nicht beschäftigt werden oder arbeiten, außer in den nachstehend angeführten Fällen.

2. Die zuständige Stelle kann nach Anhörung der beteiligten Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer die Beschäftigung von Jugendlichen über sechzehn, aber unter achtzehn Jahren während der Nacht gestatten, soweit es ihre Lehrlings- oder Berufsausbildung in bestimmten Gewerben oder Berufen erfordert, in denen die Arbeit nicht unterbrochen werden kann.

3. Jugendlichen, die nach dem vorstehenden Absatz während der Nacht beschäftigt werden, ist zwischen zwei Arbeitsschichten eine Ruhezeit von mindestens dreizehn aufeinanderfolgenden Stunden zu gewähren.

4. Wenn die Gesetzgebung eines Landes die Nachtarbeit in Bäckereien für alle Arbeitnehmer verbietet, kann die zuständige Stelle für Jugendliche nach vollendetem sechzehntem Lebensjahr, falls ihre Lehrlings- oder Berufsausbildung es erfordert, die von der zuständigen Stelle nach Artikel 2 Absatz 3 vorgeschriebene Zeitspanne von mindestens sieben aufeinanderfolgenden Stunden zwischen zehn Uhr abends und sieben Uhr morgens durch die Zeitspanne zwischen neun Uhr abends und vier Uhr morgens ersetzen.



Artikel 4

1. In Ländern, in denen die Arbeit am Tag infolge des Klimas besonders angreifend ist, können die Nachtzeit und die unter das Verbot fallende Zeitspanne kürzer bemessen werden, als in den vorhergehenden Artikeln bestimmt ist, vorausgesetzt, daß am Tag als Ersatz eine entsprechende Ruhezeit gewährt wird.

2. Die Bestimmungen der Artikel 2 und 3 finden keine Anwendung auf die Nachtarbeit von Jugendlichen zwischen sechzehn und achtzehn Jahren im Falle einer nicht vorherzusehenden oder nicht zu verhindernden, sich nicht periodisch wiederholenden Betriebsstörung, die auf höhere Gewalt zurückzuführen ist.



Artikel 5

Das Verbot der Nachtarbeit kann von der Regierung für Jugendliche von sechzehn bis achtzehn Jahren außer Kraft gesetzt werden, wenn es das öffentliche Interesse infolge besonders schwerwiegender Umstände erfordert.



Artikel 6

1. Die gesetzlichen Vorschriften, die dem Übereinkommen Wirksamkeit verleihen, müssen

a) die notwendigen Bestimmungen enthalten, damit diese Vorschriften allen Beteiligten zur Kenntnis gebracht werden,

b) die Personen bezeichnen, die für die Einhaltung der Vorschriften verantwortlich sind,

c) angemessene Zwangsmaßnahmen für Übertretungen festsetzen,

d) eine geeignete Aufsicht einrichten und aufrechterhalten, die für die tatsächliche Einhaltung der Vorschriften zu sorgen hat,

e) jeden Arbeitgeber eines öffentlichen oder privaten gewerblichen Betriebes verpflichten, ein Verzeichnis zu führen oder amtliche Belege bereitzuhalten, aus denen die Namen und Geburtsdaten aller von ihm beschäftigten Personen unter achtzehn Jahren sowie alle anderen von der zuständigen Stelle verlangten Angaben ersichtlich sind.

2. Die Jahresberichte nach Artikel 22 der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation müssen vollständige Angaben über diese gesetzlichen Vorschriften sowie einen Überblick über die Ergebnisse der entsprechend diesen Vorschriften vorgenommenen Besichtigungen enthalten.



Teil II. Sonderbestimmungen für bestimmte Länder

Artikel 7

1. Jedes Mitglied, das vor dem Zeitpunkt der Annahme von gesetzlichen Vorschriften, welche die Ratifikation dieses Übereinkommens ermöglichen, gesetzliche Vorschriften über die Regelung der Nachtarbeit von Jugendlichen im Gewerbe besaß, die eine niedrigere Altersgrenze als achtzehn Jahre vorsehen, kann durch eine der Ratifikation beigefügte Erklärung das in Artikel 3 Absatz 1 festgesetzte Alter von achtzehn Jahren durch ein Alter ersetzen, das niedriger als achtzehn, aber keinesfalls niedriger als sechzehn Jahre sein darf.

2. Jedes Mitglied, das eine solche Erklärung abgegeben hat, kann sie durch eine spätere Erklärung jederzeit widerrufen.

3. Jedes Mitglied, für das eine Erklärung nach Absatz 1 dieses Artikels in Kraft ist, hat in seinem Jahresbericht über die Durchführung dieses Übereinkommens anzugeben, in welchem Umfang Fortschritte in der Richtung auf die völlige Durchführung der Bestimmungen des Übereinkommens erzielt worden sind.



Artikel 8

1. Die Bestimmungen von Teil I dieses Übereinkommens finden auf Indien Anwendung, vorbehaltlich der in diesem Artikel vorgesehenen Abweichungen.

2. Die genannten Bestimmungen gelten für alle Gebiete, in denen die „Indian Legislature" zu ihrer Durchführung zuständig ist.

3. Als „gewerbliche Betriebe" gelten

a) Fabriken im Sinne des indischen Fabrikgesetzes,

b) Bergwerke, auf die das indische Bergbaugesetz Anwendung findet,

c) Eisenbahnen und Häfen.

4. Artikel 2 Absatz 2 findet auf Kinder Anwendung, die das dreizehnte Lebensjahr vollendet, aber das fünfzehnte Lebensjahr noch nicht erreicht haben.

5. Artikel 2 Absatz 3 findet auf Jugendliche Anwendung, die das fünfzehnte Lebensjahr vollendet, aber das siebzehnte Lebensjahr noch nicht erreicht haben.

6. Artikel 3 Absatz 1 und Artikel 4 Absatz 1 finden auf Jugendliche unter siebzehn Jahren Anwendung.

7. Artikel 3 Absätze 2, 3 und 4, Artikel 4 Absatz 2 und Artikel 5 finden auf Jugendliche Anwendung, die das fünfzehnte Lebensjahr vollendet, aber das siebzehnte Lebensjahr noch nicht erreicht haben.

8. Artikel 6 Absatz 1 e) findet auf Jugendliche unter siebzehn Jahren Anwendung.



Artikel 9

1. Die Bestimmungen von Teil I dieses Übereinkommens finden auf „Pakistan Anwendung", vorbehaltlich der in diesem Artikel vorgesehenen Abweichungen.

2. Die genannten Bestimmungen gelten für alle Gebiete, in denen die "Pakistan Legislature" zu ihrer Durchführung zuständig ist.

3. Als „gewerbliche Betriebe" gelten

a) Fabriken im Sinne des Fabrikgesetzes,

b) Bergwerke, auf die das Bergbaugesetz Anwendung findet,

c) Eisenbahnen und Häfen.

4. Artikel 2 Absatz 2 findet auf Jugendliche Anwendung, die das dreizehnte Lebensjahr vollendet, aber das fünfzehnte Lebensjahr noch nicht erreicht haben.

5. Artikel 2 Absatz 3 findet auf Jugendliche Anwendung, die das fünfzehnte Lebensjahr vollendet, aber das siebzehnte Lebensjahr noch nicht erreicht haben.

6. Artikel 3 Absatz 1 und Artikel 4 Absatz 1 finden auf Jugendliche unter siebzehn Jahren Anwendung.

7. Artikel 3 Absätze 2, 3 und 4, Artikel 4 Absatz 2 und Artikel 5 finden auf Jugendliche Anwendung, die das fünfzehnte Lebensjahr vollendet, aber das siebzehnte Lebensjahr noch nicht erreicht haben.

8. Artikel 6 Absatz 1 e) findet auf Jugendliche unter siebzehn Jahren Anwendung.



Artikel 10

1. Die Internationale Arbeitskonferenz kann auf jeder Tagung, auf deren Tagesordnung die Frage steht, mit Zweidrittelmehrheit Abänderungsentwürfe zu einem oder mehreren der vorausgehenden Artikel des Teiles II dieses Übereinkommens annehmen.

2. Ein solcher Abänderungsentwurf hat anzugeben, auf welches Mitglied oder auf welche Mitglieder er Anwendung findet. Er ist von dem Mitglied, auf das er Anwendung findet, oder von den Mitgliedern, auf die er Anwendung findet, spätestens ein Jahr oder, wenn außergewöhnliche Umstände vorliegen, spätestens achtzehn Monate nach Schluß der Tagung der Konferenz der zur Entscheidung berufenen Stelle oder den zur Entscheidung berufenen Stellen zum Zwecke der Verwirklichung durch die Gesetzgebung oder zwecks sonstiger Maßnahmen zu unterbreiten.

3. Erlangt das Mitglied die Zustimmung der zur Entscheidung berufenen Stelle oder der zur Entscheidung berufenen Stellen, so teilt es die förmliche Ratifikation der Abänderung dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes zur Eintragung mit.

4. Sobald ein solcher Abänderungsentwurf von dem Mitglied, auf das er Anwendung findet, oder von den Mitgliedern, auf die er Anwendung findet, ratifiziert worden ist, tritt er als Abänderung dieses Übereinkommens in Kraft.



Teil III. Schlußbestimmungen

Artikel 11

Die förmlichen Ratifikationen dieses Übereinkommens sind dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes zur Eintragung mitzuteilen.



Artikel 12

1. Dieses Übereinkommen bindet nur diejenigen Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation, deren Ratifikation durch den Generaldirektor eingetragen ist.

2. Es tritt in Kraft zwölf Monate nachdem die Ratifikationen zweier Mitglieder durch den Generaldirektor eingetragen worden sind.

3. In der Folge tritt dieses Übereinkommen für jedes Mitglied zwölf Monate nach der Eintragung seiner Ratifikation in Kraft.



Artikel 13

1. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren, gerechnet von dem Tag, an dem es zum erstenmal in Kraft getreten ist, durch Anzeige an den Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes kündigen. Die Kündigung wird von diesem eingetragen. Ihre Wirkung tritt erst ein Jahr nach der Eintragung ein.

2. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat und innerhalb eines Jahres nach Ablauf des im vorigen Absatz genannten Zeitraumes von zehn Jahren von dem in diesem Artikel vorgesehenen Kündigungsrecht keinen Gebrauch macht, bleibt für einen weiteren Zeitraum von zehn Jahren gebunden. In der Folge kann es dieses Übereinkommen jeweils nach Ablauf eines Zeitraumes von zehn Jahren nach Maßgabe dieses Artikels kündigen.



Artikel 14

1. Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes gibt allen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation Kenntnis von der Eintragung aller Ratifikationen, Erklärungen und Kündigungen, die ihm von den Mitgliedern der Organisation mitgeteilt werden.

2. Der Generaldirektor wird die Mitglieder der Organisation, wenn er ihnen von der Eintragung der zweiten Ratifikation, die ihm mitgeteilt wird, Kenntnis gibt, auf den Zeitpunkt aufmerksam machen, in dem dieses Übereinkommen in Kraft tritt.



Artikel 15

Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes übermittelt dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zwecks Eintragung nach Artikel 102 der Charta der Vereinten Nationen vollständige Auskünfte über alle von ihm nach Maßgabe der vorausgehenden Artikel eingetragenen Ratifikationen, Erklärungen und Kündigungen.



Artikel 16

Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat, sooft er es für nötig erachtet, der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens zu erstatten und zu prüfen, ob die Frage seiner gänzlichen oder teilweisen Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.



Artikel 17

1. Nimmt die Konferenz ein neues Übereinkommen an, welches das vorliegende Übereinkommen ganz oder teilweise abändert, und sieht das neue Übereinkommen nichts anderes vor, so gelten folgende Bestimmungen:

a) Die Ratifikation des neugefaßten Übereinkommens durch ein Mitglied schließt ohne weiteres die sofortige Kündigung des vorliegenden Übereinkommens in sich ohne Rücksicht auf Artikel 13, vorausgesetzt, daß das neugefaßte Übereinkommen in Kraft getreten ist.

b) Vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des neugefaßten Übereinkommens an kann das vorliegende Übereinkommen von den Mitgliedern nicht mehr ratifiziert werden.

2. Indessen bleibt das vorliegende Übereinkommen nach Form und Inhalt jedenfalls in Kraft für die Mitglieder, die dieses, aber nicht das neugefaßte Übereinkommen ratifiziert haben.



Artikel 18

Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise maßgebend.