INTERNATIONALE ARBEITSORGANISATION

Übereinkommen 84

Übereinkommen über das Vereinigungsrecht und die Beilegung von Arbeitsstreitigkeiten in den außerhalb des Mutterlandes gelegenen Gebieten, 1947

Dieses Übereinkommen ist am 1. Juli 1953 in Kraft getreten.
Ort:Genf 
Tagung:30 

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation,

die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 19. Juni 1947 zu ihrer dreißigsten Tagung zusammengetreten ist,

hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend das Vereinigungsrecht und die Beilegung von Arbeitsstreitigkeiten in den außerhalb des Mutterlandes gelegenen Gebieten, eine Frage, die zum dritten Gegenstand ihrer Tagesordnung gehört, und

dabei bestimmt, daß diese Anträge die Form eines internationalen Übereinkommens erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 11. Juli 1947, das folgende Übereinkommen an, das als Übereinkommen über das Vereinigungsrecht (außerhalb des Mutterlandes gelegene Gebiete), 1947, bezeichnet wird.



Artikel 1

Dieses Übereinkommen findet auf die außerhalb des Mutterlandes gelegenen Gebiete Anwendung.



Artikel 2

Das Vereinigungsrecht der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer zu allen gesetzlich erlaubten Zwecken ist durch geeignete Maßnahmen zu gewährleisten.



Artikel 3

Es sind alle tunlichen Maßnahmen zu treffen, um den Gewerkschaften, welche die beteiligten Arbeitnehmer vertreten, das Recht zum Abschluß von Gesamtarbeitsverträgen mit Arbeitgebern oder mit Verbänden der Arbeitgeber zu gewährleisten.



Artikel 4

Es sind alle tunlichen Maßnahmen zu treffen, um die Vertreter der Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer bei der Ausarbeitung und Durchführung von Maßnahmen zum Schutze der Arbeitnehmer und zur Durchführung der Arbeitsgesetzgebung anzuhören und sie daran zu beteiligen.



Artikel 5

Bei allen Verfahren zur Prüfung von Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ist für möglichste Einfachheit und Schnelligkeit zu sorgen.



Artikel 6

1. Es ist darauf hinzuwirken, daß die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer Arbeitsstreitigkeiten vermeiden und auftretende Streitigkeiten im Wege der Schlichtung nach den Grundsätzen der Billigkeit regeln.

2. In diesem Sinne sind alle tunlichen Maßnahmen zu treffen, um die Vertreter der Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer in bezug auf Einrichtung und Tätigkeit der Schlichtungsstellen anzuhören und sie daran zu beteiligen.

3. Unbeschadet der Tätigkeit dieser Stellen sind öffentliche Beamte mit der Prüfung der Arbeitsstreitigkeiten zu betrauen. Sie haben auf deren Schlichtung hinzuwirken und sich zu bemühen, den Parteien behilflich zu sein, sie nach den Grundsätzen der Billigkeit beizulegen.

4. Soweit tunlich, sind mit diesen Aufgaben hierfür besonders bezeichnete Beamte zu betrauen.



Artikel 7

1. Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sind so rasch als möglich einzurichten.

2. Vertreter der beteiligten Arbeitgeber und der beteiligten Arbeitnehmer einschließlich Vertreter ihrer Verbände, soweit solche bestehen. sind an der Durchführung dieser Verfahren derart und so weit zu beteiligen, wie es die zuständige Stelle bestimmt, jedenfalls aber in gleicher Zahl und mit gleichen Rechten.



Artikel 8

1. Für die in Artikel 35 der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation in der Fassung der Abänderungsurkunde von 1946 bezeichneten Gebiete, mit Ausnahme der Gebiete nach Absatz 4 und 5 des genannten Artikels in seiner neuen Fassung, hat jedes Mitglied der Organisation, das dieses Übereinkommen ratifiziert, dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes mit seiner Ratifikation oder sobald wie möglich nach der Ratifikation eine Erklärung zu übermitteln, welche die Gebiete bekanntgibt,

a) für die es die Verpflichtung zur unveränderten Durchführung der Bestimmungen des Übereinkommens übernimmt,

b) für die es die Verpflichtung zur Durchführung der Bestimmungen des Übereinkommens mit Abweichungen übernimmt, unter Angabe der Einzelheiten dieser Abweichungen,

c) in denen das Übereinkommen nicht durchgeführt werden kann, und in diesem Fall die Gründe dafür,

d) für die es sich die Entscheidung vorbehält.

2. Die Verpflichtungen nach Absatz 1 a) und b) dieses Artikels gelten als Bestandteil der Ratifikation und haben die Wirkung einer solchen.

3. Jedes Mitglied kann die in der ursprünglichen Erklärung nach Absatz 1 b), c) und d) dieses Artikels mitgeteilten Vorbehalte jederzeit durch eine spätere Erklärung ganz oder teilweise zurückziehen.

4. Jedes Mitglied kann dem Generaldirektor zu jedem Zeitpunkt, in dem das Übereinkommen nach Artikel 14 gekündigt werden kann, eine Erklärung übermitteln, durch die der Inhalt jeder früheren Erklärung in sonstiger Weise abgeändert und die in dem betreffenden Zeitpunkt in bestimmten Gebieten bestehende Lage angegeben wird.



Artikel 9

1. Fällt der Gegenstand dieses Übereinkommens unter die Selbstregierungsbefugnisse eines außerhalb des Mutterlandes gelegenen Gebietes, so kann das für die internationalen Beziehungen dieses Gebietes verantwortliche Mitglied im Benehmen mit dessen Regierung dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes eine Erklärung übermitteln, durch die es die Verpflichtungen aus diesem Übereinkommen im Namen des betreffenden Gebietes übernimmt.

2. Eine Erklärung betreffend die Übernahme der Verpflichtungen aus diesem Übereinkommen kann dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes übermittelt werden

a) von zwei oder mehr Mitgliedern der Organisation für ein ihnen gemeinsam unterstelltes Gebiet,

b) von jeder nach der Charta der Vereinten Nationen oder auf Grund einer anderen Bestimmung für die Verwaltung eines Gebietes verantwortlichen internationalen Behörde, und zwar für das betreffende Gebiet.

3. In den dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes nach den vorstehenden Absätzen dieses Artikels übermittelten Erklärungen ist anzugeben, ob das Übereinkommen in dem betreffenden Gebiet mit oder ohne Abweichungen durchgeführt wird, teilt die Erklärung mit, daß die Durchführung des Übereinkommens mit Abweichungen erfolgt, so sind die Einzelheiten dieser Abweichungen anzugeben.

4. Das beteiligte Mitglied, die beteiligten Mitglieder oder die beteiligte internationale Behörde können jederzeit durch eine spätere Erklärung auf das Recht der Inanspruchnahme jeder in einer früheren Erklärung mitgeteilten Abweichung ganz oder teilweise verzichten.

5. Das beteiligte Mitglied, die beteiligten Mitglieder oder die beteiligte internationale Behörde können dem Generaldirektor zu jedem Zeitpunkt, in dem dieses Übereinkommen nach Artikel 14 gekündigt werden kann, eine Erklärung übermitteln, durch die der Inhalt jeder früheren Erklärung in sonstiger Weise abgeändert und die in dem betreffenden Zeitpunkt bestehende Lage in bezug auf die Durchführung dieses Übereinkommens angegeben wird.



Artikel 10

In den Jahresberichten über die Durchführung dieses Übereinkommens ist für jedes Gebiet, für das eine Erklärung über Abweichungen von den Bestimmungen des Übereinkommens in Kraft ist, anzugeben, inwieweit Fortschritte verwirklicht worden sind, die den Verzicht auf das Recht, von den genannten Abweichungen Gebrauch zu machen, ermöglichen sollen.



Artikel 11

Enthält ein von der Konferenz in der Folge angenommenes Übereinkommen über einen oder mehrere der in dem vorliegenden Übereinkommen behandelten Gegenstände eine bezügliche Regelung, so erlischt die Geltung der in dem erstgenannten Übereinkommen bezeichneten Bestimmungen des vorliegenden Übereinkommens für jedes Gebiet, für das dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes eine Erklärung übermittelt worden ist, die vorsieht

a) die Übernahme der Verpflichtung zur Durchführung des erstgenannten Übereinkommens nach Artikel 35 Absatz 2 der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation in der Fassung der Abänderungsurkunde von 1946 oder

b) die Übernahme der Verpflichtungen aus dem erstgenannten Übereinkommen nach Absatz 5 des genannten Artikels 35.



Artikel 12

Die förmlichen Ratifikationen dieses Übereinkommens sind dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes zur Eintragung mitzuteilen.



Artikel 13

1. Dieses Übereinkommen bindet nur diejenigen Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation, deren Ratifikation durch den Generaldirektor eingetragen ist.

2. Es tritt in Kraft zwölf Monate nachdem die Ratifikationen zweier Mitglieder durch den Generaldirektor eingetragen worden sind.

3. In der Folge tritt dieses Übereinkommen für jedes Mitglied zwölf Monate nach der Eintragung seiner Ratifikation in Kraft.



Artikel 14

1. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren, gerechnet von dem Tag, an dem es zum ersten Mal in Kraft getreten ist, durch Anzeige an den Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes kündigen. Die Kündigung wird von diesem eingetragen. Ihre Wirkung tritt erst ein Jahr nach der Eintragung ein.

2. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat und innerhalb eines Jahres nach Ablauf des im vorigen Absatz genannten Zeitraumes von zehn Jahren von dem in diesem Artikel vorgesehenen Kündigungsrecht keinen Gebrauch macht, bleibt für einen weiteren Zeitraum von zehn Jahren gebunden. In der Folge kann es dieses Übereinkommen jeweils nach Ablauf eines Zeitraumes von zehn Jahren nach Maßgabe dieses Artikels kündigen.



Artikel 15

1. Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes gibt allen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation Kenntnis von der Eintragung aller Ratifikationen, Erklärungen und Kündigungen, die ihm von den Mitgliedern der Organisation mitgeteilt werden.

2. Der Generaldirektor wird die Mitglieder der Organisation, wenn er ihnen von der Eintragung der zweiten Ratifikation, die ihm mitgeteilt wird, Kenntnis gibt, auf den Zeitpunkt aufmerksam machen, in dem dieses Übereinkommen in Kraft tritt.



Artikel 16

Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes übermittelt dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zwecks Eintragung nach Artikel 102 der Charta der Vereinten Nationen vollständige Auskünfte über alle von ihm nach Maßgabe der vorausgehenden Artikel eingetragenen Ratifikationen, Erklärungen und Kündigungen.



Artikel 17

Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat, sooft er es für nötig erachtet, der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens zu erstatten und zu prüfen, ob die Frage seiner gänzlichen oder teilweisen Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.



Artikel 18

1. Nimmt die Konferenz ein neues Übereinkommen an, welches das vorliegende Übereinkommen ganz oder teilweise abändert, und sieht das neue Übereinkommen nichts anderes vor, so gelten folgende Bestimmungen:

a) Die Ratifikation des neugefaßten Übereinkommens durch ein Mitglied schließt ohne weiteres die sofortige Kündigung des vorliegenden Übereinkommens in sich ohne Rücksicht auf Artikel 14, vorausgesetzt, daß das neugefaßte Übereinkommen in Kraft getreten ist.

b) Vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des neugefaßten Übereinkommens an kann das vorliegende Übereinkommen von den Mitgliedern nicht mehr ratifiziert werden.

2. Indessen bleibt das vorliegende Übereinkommen nach Form und Inhalt jedenfalls in Kraft für die Mitglieder, die dieses, aber nicht das neugefaßte Übereinkommen ratifiziert haben.



Artikel 19

Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise maßgebend.