INTERNATIONALE ARBEITSORGANISATION

Übereinkommen 82

Übereinkommen über die Sozialpolitik in den außerhalb des Mutterlandes gelegenen Gebieten, 1947

Dieses Übereinkommen ist am 19. Juni 1955 in Kraft getreten.
Ort:Genf 
Tagung:30 

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation,

die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 19. Juni 1947 zu ihrer dreißigsten Tagung zusammengetreten ist,

hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend die Sozialpolitik in den außerhalb des Mutterlandes gelegenen Gebieten, eine Frage, die zum dritten Gegenstand ihrer Tagesordnung gehört, und

dabei bestimmt, daß diese Anträge die Form eines internationalen Übereinkommens erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 11. Juli 1947, das folgende Übereinkommen an, das als Übereinkommen über Sozialpolitik (außerhalb des Mutterlandes gelegene Gebiete), 1947, bezeichnet wird.



Teil I. Verpflichtungen aus dem Übereinkommen

Artikel 1

1. Jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation, das dieses Übereinkommen ratifiziert, übernimmt die Verpflichtung, daß die Politik und die Maßnahmen, die in diesem Übereinkommen festgelegt sind, in den außerhalb des Mutterlandes gelegenen Gebieten durchgeführt werden, für die es eine Verantwortung trägt oder übernimmt, einschließlich aller Gebiete, deren Verwaltung ihm als Treuhänder übertragen ist, mit Ausnahme der Gebiete nach Absatz 2 und 3 dieses Artikels und vorbehaltlich der Zustimmung der Regierungen der beteiligten Gebiete, soweit es sich um Fragen handelt, die unter die Zuständigkeit dieser Gebiete fallen.

2. Fällt der Gegenstand dieses Übereinkommens ganz oder vorwiegend unter die Selbstregierungsbefugnisse eines außerhalb des Mutterlandes gelegenen Gebietes, so kann das für die internationalen Beziehungen dieses Gebietes verantwortliche Mitglied im Benehmen mit dessen Regierung dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes eine Erklärung übermitteln, durch die es die Verpflichtungen aus diesem Übereinkommen im Namen des betreffenden Gebietes übernimmt.

3. Eine Erklärung betreffend die Übernahme der Verpflichtungen aus diesem Übereinkommen kann dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes übermittelt werden

a) von zwei oder mehr Mitgliedern der Organisation für ein ihnen gemeinsam unterstelltes Gebiet,

b) von jeder nach der Charta der Vereinten Nationen oder auf Grund einer anderen Bestimmung für die Verwaltung eines Gebietes verantwortlichen internationalen Behörde, und zwar für das betreffende Gebiet.



Teil II. Allgemeine Grundsätze

Artikel 2

1. Jede in den außerhalb des Mutterlandes gelegenen Gebieten durchzuführende Politik hat in erster Linie auf die Wohlfahrt und die Entwicklung der Bevölkerung dieser Gebiete und auf die Förderung ihrer Wünsche nach sozialem Fortschritt gerichtet zu sein.

2. Politische Richtlinien allgemeiner Art sind unter angemessener Berücksichtigung ihrer Wirkung auf die Wohlfahrt der Bevölkerung der außerhalb des Mutterlandes gelegenen Gebiete aufzustellen.



Artikel 3

1. Um den wirtschaftlichen Fortschritt zu begünstigen und damit die Grundlagen für den sozialen Fortschritt zu schaffen, hat im internationalen, regionalen, nationalen oder territorialen Bereich alles zu geschehen, um den örtlichen Behörden finanzielle und technische Hilfe zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung der außerhalb des Mutterlandes gelegenen Gebiete zu gewähren.

2. Die Bedingungen für die Gewährung dieser Hilfe haben die zur Sicherung der Interessen der Bevölkerung der außerhalb des Mutterlandes gelegenen Gebiete erforderliche Überwachung durch die örtlichen Behörden oder die Mitarbeit dieser Behörden bei der Festsetzung der Art der angestrebten wirtschaftlichen Entwicklung und der Voraussetzungen für die Ausführung der damit verbundenen Arbeiten vorzusehen.

3. Eines der Ziele der Sozialpolitik der zuständigen Regierungsbehörden hat darin zu bestehen, daß für die Bereitstellung angemessener Mittel gesorgt wird, um der wirtschaftlichen Entwicklung öffentliches oder privates Kapital oder Kapital aus beiden Quellen unter Bedingungen zuzuführen, die der Bevölkerung der außerhalb des Mutterlandes gelegenen Gebiete die größtmöglichen Vorteile aus dieser Entwicklung sichern.

4. Gegebenenfalls sind internationale, regionale oder nationale Maßnahmen zur Schaffung von Handelsbedingungen zu treffen, die einen Ansporn zu einer ergiebigen Produktion bilden und die Gewährleistung eines angemessenen Standes der Lebenshaltung in den außerhalb des Mutterlandes gelegenen Gebieten ermöglichen.



Artikel 4

Im Wege geeigneter Maßnahmen internationaler, regionaler, nationaler und territorialer Art sind alle irgendwie möglichen Maßnahmen zu treffen, um Verbesserungen auf Gebieten wie den folgenden anzuregen: öffentliches Gesundheitswesen, Wohnungswesen, Ernährung, Schulwesen, Wohlfahrt der Kinder, Stellung der Frau, Arbeitsbedingungen, Entgelt für die Arbeitnehmer und die selbständig Erwerbenden, Schutz der Wanderarbeiter, soziale Sicherheit, Tätigkeit der öffentlichen Dienste und Produktion im allgemeinen.



Artikel 5

Die Bevölkerung der außerhalb des Mutterlandes gelegenen Gebiete ist auf jede mögliche Weise an der Ausarbeitung und der Durchführung von Maßnahmen des sozialen Fortschrittes wirksam zu interessieren und zu beteiligen, und zwar, wo es angemessen und tunlich ist, vorzugsweise durch ihre eigenen gewählten Vertreter.



Teil III. Verbesserung des Standes der Lebenshaltung

Artikel 6

Die Verbesserung des Standes der Lebenshaltung hat als Hauptziel der Pläne für wirtschaftliche Entwicklung zu gelten.



Artikel 7

1. Bei der Ausarbeitung der Pläne für wirtschaftliche Entwicklung sind alle tunlichen Maßnahmen zu treffen, um diese Entwicklung mit einem gesunden Aufschwung der beteiligten Gemeinschaften in Einklang zu bringen.

2. Insbesondere ist darauf hinzuwirken, die Zersetzung des Familienlebens und der herkömmlichen sozialen Einheiten zu verhüten. Zu diesem Zwecke sind vor allem Maßnahmen folgender Art zu treffen:

a) sorgfältige Ermittlung der Ursachen und der Wirkungen der Wanderungsbewegungen und gegebenenfalls geeignetes Eingreifen,

b) Förderung der Stadt- und Dorfplanung in Gegenden, in denen die Bedürfnisse der Wirtschaft eine Konzentrierung der Bevölkerung mit sich bringen,

c) Verhütung und Beseitigung der Übervölkerung in städtischen Gebieten,

d) Verbesserung der Lebensbedingungen auf dem Land und Schaffung geeigneter ländlicher Industrien, wo ausreichende Arbeitskräfte zur Verfügung stehen.



Artikel 8

Die von der zuständigen Stelle zur Förderung der Produktionsfähigkeit und zur Verbesserung des Standes der Lebenshaltung der landwirtschaftlichen Erzeuger zu erwägenden Maßnahmen umfassen

a) die weitestmögliche Beseitigung der Ursachen dauernder Verschuldung,

b) die Überwachung der Abtretung von Kulturland an Nichtlandwirte, um sicherzustellen, daß solche Abtretungen nur zum Besten des Gebietes stattfinden,

c) die Durchführung geeigneter gesetzlicher Vorschriften zur Überwachung des Besitzes und der Nutzung des Bodens und der anderen natürlichen Hilfsquellen, um sicherzustellen, daß sie unter angemessener Berücksichtigung der herkömmlichen Rechte zum Besten der Bevölkerung des Gebietes verwendet werden,

d) die Überwachung der Pacht- und Arbeitsbedingungen, um den Pächtern und den landwirtschaftlichen Arbeitnehmern den höchstmöglichen Stand der Lebenshaltung und einen angemessenen Anteil an allen Vorteilen zu sichern, die sich aus Verbesserungen der Produktivität oder der Preise ergeben,

e) die Herabsetzung der Produktions- und Verteilungskosten auf jede mögliche Weise, insbesondere durch Schaffung, Förderung und Unterstützung von Produktiv- und Konsumgenossenschaften.



Artikel 9

1. Durch entsprechende Maßnahmen sind für die selbständig Erwerbenden und für die Arbeitnehmer die Voraussetzungen zu schaffen, die es ihnen ermöglichen, den Stand ihrer Lebenshaltung aus eigener Kraft zu verbessern, und welche die Aufrechterhaltung eines Mindeststandes der Lebenshaltung sichern, der durch amtliche, nach Anhörung der maßgebenden Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer durchgeführte Erhebungen über die Lebensbedingungen bestimmt wird.

2. Bei der Bestimmung des Mindeststandes der Lebenshaltung sind die wesentlichen Familienbedürfnisse der Arbeitnehmer zu berücksichtigen, einschließlich der Nahrung und deren Nährwert, der Wohnung, der Kleidung, der ärztlichen Hilfe und der Schulausbildung.



Teil IV. Bestimmungen über die Wanderarbeiter

Artikel 10

Erfordert die Beschäftigung, daß die Arbeitnehmer außerhalb ihres Heimes leben, so sind ihre normalen Familienbedürfnisse in den Beschäftigungsbedingungen zu berücksichtigen.



Artikel 11

Werden die Arbeitskräfte einer Gegend eines außerhalb des Mutterlandes gelegenen Gebietes zeitweilig für eine andere Gegend des gleichen Gebietes herangezogen, so sind Maßnahmen zu treffen, um die Überweisung eines Teiles der Löhne und der Ersparnisse der Arbeitnehmer aus der Gegend, in der sie beschäftigt werden, nach der Gegend, aus der sie stammen, zu fördern.



Artikel 12

1. Werden in einer Gegend die Arbeitskräfte eines Gebietes herangezogen, das einer anderen Verwaltung untersteht, so haben die zuständigen Stellen der beteiligten Gebiete, sooft es notwendig oder erwünscht erscheint, Vereinbarungen zur Regelung der sie gemeinsam berührenden Fragen zu treffen, die sich aus der Durchführung dieses Übereinkommens ergeben können.

2. In diesen Vereinbarungen ist vorzusehen, daß die Wanderarbeiter keinen geringeren Schutz und keine geringeren Vorteile genießen als die Arbeitnehmer, deren Wohnsitz sich in der Gegend befindet, in der sie beschäftigt werden.

3. In diesen Vereinbarungen sind Erleichterungen für die Arbeitnehmer vorzusehen, um ihnen die Überweisung eines Teiles ihrer Löhne und Ersparnisse nach ihrer Heimat zu ermöglichen.



Artikel 13

Bei der Übersiedlung von Arbeitnehmern und deren Familien aus einer Gegend mit niedrigen Lebenskosten nach einer Gegend mit höheren Lebenskosten ist die dadurch bedingte Erhöhung der Lebenskosten zu berücksichtigen.



Teil V. Entlohnung der Arbeitnehmer und verwandte Fragen

Artikel 14

1. Die Festsetzung von Mindestlöhnen im Wege frei abgeschlossener Gesamtarbeitsverträge zwischen den die beteiligten Arbeitnehmer vertretenden Gewerkschaften und den Arbeitgebern oder den Verbänden der Arbeitgeber ist zu fördern.

2. Falls keine geeigneten Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen im Wege von Gesamtarbeitsverträgen bestehen, sind die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um die Festsetzung von Mindestlöhnen nach Anhörung von Vertretern der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer, einschließlich von Vertretern ihrer Verbände, wo solche bestehen, zu ermöglichen.

3. Durch entsprechende Maßnahmen ist sicherzustellen, daß die beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer Kenntnis von den geltenden Mindestlöhnen erhalten und daß die tatsächlich gezahlten Löhne nicht niedriger sind als die geltenden Mindestlöhne.

4. Jeder Arbeitnehmer, für den die Mindestlöhne gelten und der seit ihrer Einführung geringere Löhne erhalten hat, ist berechtigt, auf gerichtlichem oder auf einem anderen gesetzlichen Wege die Zahlung des ihm gebührenden Restbetrages innerhalb einer von der Gesetzgebung zu bestimmenden Frist zu erwirken.



Artikel 15

1. Durch entsprechende Maßnahmen ist sicherzustellen, daß alle verdienten Löhne richtig gezahlt werden. Die Arbeitgeber sind zu verpflichten, Lohnlisten zu führen, den Arbeitnehmern Bescheinigungen über die ihnen gezahlten Löhne auszustellen und andere geeignete Vorkehrungen zur Erleichterung der notwendigen Überwachung zu treffen.

2. Die Löhne sind normalerweise nur in gesetzlicher Währung auszuzahlen.

3. Die Löhne sind normalerweise dem Arbeitnehmer selbst auszuzahlen.

4. Die teilweise oder völlige Abgeltung des dem Arbeitnehmer für geleistete Dienste gebührenden Lohnes durch Alkohol oder alkoholhaltige Getränke ist zu verbieten.

5. Die Lohnzahlung darf nicht in Schenken oder Ladengeschäften stattfinden, außer wenn die betreffenden Arbeitnehmer dort beschäftigt sind.

6. Die Löhne sind regelmäßig in solchen Zeitabschnitten auszuzahlen, daß die Wahrscheinlichkeit der Verschuldung der Arbeitnehmer verringert werden kann, es sei denn, daß dieser Regelung ein örtlicher Brauch entgegensteht, dessen Beibehaltung die Arbeitnehmer nach Feststellung der zuständigen Stelle wünschen.

7. Besteht ein Teil des Arbeitsentgeltes aus Nahrung, Wohnung, Kleidung und anderen wesentlichen Leistungen und Diensten, so hat die zuständige Stelle durch alle tunlichen Maßnahmen sicherzustellen, daß sie angemessen sind und richtig mit ihrem Barwert berechnet werden.

8. Alle tunlichen Maßnahmen sind zu treffen, um

a) die Arbeitnehmer von ihren Rechten betreffend die Löhne in Kenntnis zu setzen,

b) jeden unzulässigen Lohnabzug zu verhindern,

c) Lohnabzüge für die einen Teil des Arbeitsentgeltes bildenden Sach- und Dienstleistungen auf deren tatsächlichen Barwert zu begrenzen.



Artikel 16

1. Die zuständige Stelle regelt die zulässigen Höchstbeträge der Lohnvorschüsse und die Art ihrer Rückzahlung.

2. Die zuständige Stelle begrenzt die Höhe der Vorschüsse, die einem Arbeitnehmer gewährt werden dürfen, um ihn zur Annahme einer Beschäftigung zu veranlassen. Der zulässige Betrag ist dem Arbeitnehmer deutlich anzugeben.

3. Ein Vorschuß über die von der zuständigen Stelle festgesetzte Höhe hinaus ist gesetzlich nicht eintreibbar und darf nicht durch Einbehaltung von Zahlungen ausgeglichen werden, die dem Arbeitnehmer in einem späteren Zeitpunkt gebühren.



Artikel 17

1. Freiwillige Ersparnisse der Arbeitnehmer und der selbständig Erwerbenden sind zu fördern.

2. Zum Schutz der Arbeitnehmer und der selbständig Erwerbenden gegen Wucher sind alle tunlichen Vorkehrungen zu treffen, insbesondere durch Maßnahmen zur Herabsetzung der Darlehenszinsen, durch Überwachung der Geschäfte der Geldverleiher und durch Förderung der Aufnahme von Darlehen zu angemessenen Zwecken bei Kreditgenossenschaften oder bei Einrichtungen, die der Überwachung durch die zuständige Stelle unterstehen.



Teil VI. Beseitigung unterschiedlicher Behandlung nach Rasse, Farbe, Geschlecht, Glaubensbekenntnis, Stammeszugehörigkeit oder Mitgliedschaft bei einer Gewerkschaft

Artikel 18

1. Eines der Ziele der Sozialpolitik hat darin zu bestehen, jede unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer nach Rasse, Farbe, Geschlecht, Glaubensbekenntnis, Stammeszugehörigkeit oder Mitgliedschaft bei einer Gewerkschaft auf den nachstehend genannten Gebieten zu beseitigen:

a) Arbeitsgesetzgebung und Arbeitsverträge, die eine wirtschaftlich angemessene Behandlung für alle Personen vorsehen müssen, die in dem Gebiet im Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften wohnen oder arbeiten,

b) Zulassung zu öffentlichen oder privaten Beschäftigungen,

c) Voraussetzungen für Einstellung und Beförderung,

d) Erleichterung der beruflichen Ausbildung,

e) Arbeitsbedingungen,

f) Maßnahmen betreffend Gesundheits- und Unfallschutz sowie Wohlfahrt,

g) Disziplinarmaßnahmen,

h) Teilnahme an Verhandlungen über Gesamtarbeitsverträge,

i) Lohnsätze, die nach dem Grundsatz gleichen Lohnes für gleiche Arbeit bei demselben Arbeitsvorgang und im selben Betriebe festzusetzen sind, soweit dieser Grundsatz im Mutterland anerkannt ist.

2. Vorbehaltlich der Bestimmungen unter i) des vorstehenden Absatzes sind alle tunlichen Maßnahmen zu treffen, um alle durch unterschiedliche Behandlung nach Rasse, Farbe, Geschlecht, Glaubensbekenntnis, Stammeszugehörigkeit oder Mitgliedschaft bei einer Gewerkschaft bedingten Unterschiede in der Lohnbemessung im Wege der Erhöhung der für die Arbeitnehmer mit den niedrigsten Löhnen geltenden Sätze zu verringern.

3. Den Arbeitnehmern eines Gebietes, die zur Beschäftigung in einem anderen Gebiet eingestellt sind, können neben dem Lohne Geld- oder Sachleistungen zur Berücksichtigung aller angemessenen persönlichen oder Familienausgaben gewährt werden, die durch die Beschäftigung außerhalb ihrer Heimat verursacht werden.

4. Durch die vorstehenden Bestimmungen dieses Artikels werden die Maßnahmen nicht berührt, deren Anordnung die zuständige Stelle im Interesse des Mutterschutzes und zur Gewährleistung von Gesundheit, Sicherheit und Wohlfahrt der Arbeitnehmerinnen als notwendig oder erwünscht erachtet.



Teil VII. Schul- und Berufsausbildung

Artikel 19

1. Soweit die örtlichen Voraussetzungen es irgendwie zulassen, sind in den außerhalb des Mutterlandes gelegenen Gebieten geeignete Maßnahmen zum schrittweisen Ausbau eines umfassenden Systems der Schul-, Berufs- und Lehrlingsausbildung zu treffen, um die Kinder und die Jugendlichen beider Geschlechter wirksam auf eine nützliche Beschäftigung vorzubereiten.

2. Die Gesetzgebung der Gebiete bestimmt das Schulentlassungsalter sowie das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung und die Beschäftigungsbedingungen.

3. Damit die Kinder die bestehenden Ausbildungsmöglichkeiten ausnützen können und damit die Ausbreitung dieser Möglichkeiten nicht durch Nachfrage nach Kinderarbeit behindert wird, ist die Beschäftigung von Kindern unter dem Schulentlassungsalter während der Schulzeit in Gegenden zu verbieten, in denen ausreichende Ausbildungsmöglichkeiten für die Mehrheit der im Schulalter stehenden Kinder bestehen.



Artikel 20

1. Um in den außerhalb des Mutterlandes gelegenen Gebieten eine hohe Produktivität durch Förderung der Facharbeit zur gewährleisten, ist bei geeigneten Voraussetzungen die Unterweisung in neuen Produktionsverfahren in örtlichen, regionalen oder im Mutterland gelegenen Ausbildungszentren vorzusehen.

2. Die zuständigen Stellen übernehmen die Organisierung oder die Überwachung dieser Zentren für berufliche Ausbildung nach Anhörung der Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer des Herkunftsgebietes der Schüler und nach Anhörung der Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer des Landes, in dem die Ausbildung erfolgt.



Teil VIII. Verschiedene Bestimmungen

Artikel 21

1. Für die in Artikel 1 Absatz 1 dieses Übereinkommens bezeichneten Gebiete hat jedes Mitglied der Organisation, das dieses Übereinkommen ratifiziert, seiner Ratifikation eine Erklärung beizufügen oder dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes so bald wie möglich nach seiner Ratifikation eine Erklärung zu übermitteln, welche die Gebiete bekanntgibt,

a) für die es die Verpflichtung zur unveränderten Durchführung der Bestimmungen des Übereinkommens übernimmt,

b) für die es die Verpflichtung zur Durchführung der Bestimmungen des Übereinkommens mit Abweichungen übernimmt, unter Angabe der Einzelheiten dieser Abweichungen,

c) in denen das Übereinkommen nicht durchgeführt werden kann, und in diesem Fall die Gründe dafür,

d) für die es sich die Entscheidung vorbehält.

2. Die Verpflichtungen nach Absatz 1 a) und b) dieses Artikels gelten als Bestandteil der Ratifikation und haben die Wirkung einer solchen.

3. Jedes Mitglied kann die in der ursprünglichen Erklärung nach Absatz 1 b), c) und d) dieses Artikels mitgeteilten Vorbehalte jederzeit durch eine spätere Erklärung ganz oder teilweise zurückziehen.

4. Jedes Mitglied kann dem Generaldirektor zu jedem Zeitpunkt, in dem das Übereinkommen nach Artikel 27 gekündigt werden kann, eine Erklärung übermitteln, durch die der Inhalt jeder früheren Erklärung in sonstiger Weise abgeändert und die in dem betreffenden Zeitpunkt in bestimmten Gebieten bestehende Lage angegeben wird.



Artikel 22

1. In den dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes nach Artikel 1 Absätze 2 und 3 dieses Übereinkommens übermittelten Erklärungen ist anzugeben, ob das Übereinkommen in dem betreffenden Gebiet mit oder ohne Abweichungen durchgeführt wird; teilt die Erklärung mit, daß die Durchführung des Übereinkommens mit Abweichungen erfolgt, so sind die Einzelheiten dieser Abweichungen anzugeben.

2. Das beteiligte Mitglied, die beteiligten Mitglieder oder die beteiligte internationale Behörde können jederzeit durch eine spätere Erklärung auf das Recht der Inanspruchnahme jeder in einer früheren Erklärung mitgeteilten Abweichung ganz oder teilweise verzichten.

3. Das beteiligte Mitglied, die beteiligten Mitglieder oder die beteiligte internationale Behörde können dem Generaldirektor zu jedem Zeitpunkt, in dem dieses Übereinkommen nach Artikel 27 gekündigt werden kann, eine Erklärung übermitteln, durch die der Inhalt jeder früheren Erklärung in sonstiger Weise abgeändert und die in dem betreffenden Zeitpunkt bestehende Lage in bezug auf die Durchführung des Übereinkommens angegeben wird.



Artikel 23

In den Jahresberichten über die Durchführung dieses Übereinkommens ist für jedes Gebiet, für das eine Erklärung über Abweichungen von den Bestimmungen des Übereinkommens in Kraft steht, anzugeben, inwieweit Fortschritte verwirklicht worden sind, die den Verzicht auf das Recht, von den genannten Abweichungen Gebrauch zu machen, ermöglichen sollen.



Artikel 24

Enthält ein von der Konferenz in der Folge angenommenes Übereinkommen über einen oder mehrere der in dem vorliegenden Übereinkommen behandelten Gegenstände eine bezügliche Regelung, so erlischt die Geltung der in dem erstgenannten Übereinkommen bezeichneten Bestimmungen des vorliegenden Übereinkommens für jedes Gebiet, für das dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes eine Erklärung übermittelt worden ist, die vorsieht

a) die Übernahme der Verpflichtung zur Durchführung des erstgenannten Übereinkommens nach Artikel 35 Absatz 2 der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation in der Fassung der Abänderungsurkunde von 1946 oder

b) die Übernahme der Verpflichtungen aus dem erstgenannten Übereinkommen nach Absatz 5 des genannten Artikels 35.



Teil IX. Schlußbestimmungen

Artikel 25

Die förmlichen Ratifikationen dieses Übereinkommens sind dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes zur Eintragung mitzuteilen.



Artikel 26

1. Dieses Übereinkommen bindet nur diejenigen Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation, deren Ratifikation durch den Generaldirektor eingetragen ist.

2. Es tritt in Kraft zwölf Monate nachdem die Ratifikationen zweier Mitglieder durch den Generaldirektor eingetragen worden sind.

3. In der Folge tritt dieses Übereinkommen für jedes Mitglied zwölf Monate nach der Eintragung seiner Ratifikation in Kraft.



Artikel 27

1. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren, gerechnet von dem Tag, an dem es zum ersten Mal in Kraft getreten ist, durch Anzeige an den Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes kündigen. Die Kündigung wird von diesem eingetragen. Ihre Wirkung tritt erst ein Jahr nach der Eintragung ein.

2. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat und innerhalb eines Jahres nach Ablauf des im vorigen Absatz genannten Zeitraumes von zehn Jahren von dem in diesem Artikel vorgesehenen Kündigungsrecht keinen Gebrauch macht, bleibt für einen weiteren Zeitraum von zehn Jahren gebunden. In der Folge kann es dieses Übereinkommen jeweils nach Ablauf eines Zeitraumes von zehn Jahren nach Maßgabe dieses Artikels kündigen.



Artikel 28

1. Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes gibt allen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation Kenntnis von der Eintragung aller Ratifikationen, Erklärungen und Kündigungen, die ihm von den Mitgliedern der Organisation mitgeteilt werden.

2. Der Generaldirektor wird die Mitglieder der Organisation, wenn er ihnen von der Eintragung der zweiten Ratifikation, die ihm mitgeteilt wird, Kenntnis gibt, auf den Zeitpunkt aufmerksam machen, in dem dieses Übereinkommen in Kraft tritt.



Artikel 29

Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes übermittelt dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zwecks Eintragung nach Artikel 102 der Charta der Vereinten Nationen vollständige Auskünfte über alle von ihm nach Maßgabe der vorausgehenden Artikel eingetragenen Ratifikationen, Erklärungen und Kündigungen.



Artikel 30

Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat, sooft er es für nötig erachtet, der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens zu erstatten und zu prüfen, ob die Frage seiner gänzlichen oder teilweisen Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.



Artikel 31

1. Nimmt die Konferenz ein neues Übereinkommen an, welches das vorliegende Übereinkommen ganz oder teilweise abändert, und sieht das neue Übereinkommen nichts anderes vor, so gelten folgende Bestimmungen:

a) Die Ratifikation des neugefaßten Übereinkommens durch ein Mitglied schließt ohne weiteres die sofortige Kündigung des vorliegenden Übereinkommens in sich ohne Rücksicht auf Artikel 27, vorausgesetzt, daß das neugefaßte Übereinkommen in Kraft getreten ist.

b) Vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des neugefaßten Übereinkommens an kann das vorliegende Übereinkommen von den Mitgliedern nicht mehr ratifiziert werden.

2. Indessen bleibt das vorliegende Übereinkommen nach Form und Inhalt jedenfalls in Kraft für die Mitglieder, die dieses, aber nicht das neugefaßte Übereinkommen ratifiziert haben.



Artikel 32

Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise maßgebend.