INTERNATIONALE ARBEITSORGANISATION

Übereinkommen 30

Übereinkommen über die Regelung der Arbeitszeit im Handel und in Büros, 1930

Dieses Übereinkommen ist am 29. August 1933 in Kraft getreten.
Ort:Genf 
Tagung:14 

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation,

die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 10. Juni 1930 zu ihrer vierzehnten Tagung zusammengetreten ist,

hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend die Regelung der Arbeitszeit im Handel und in Büros, eine Frage, die zum zweiten Gegenstand ihrer Tagesordnung gehört, und dabei bestimmt, daß diese Anträge die Form eines internationalen Übereinkommens erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 28. Juni 1930, das folgende Übereinkommen an, das als Übereinkommen über die Arbeitszeit (Handel und Büros), 1930, bezeichnet wird, zwecks Ratifikation durch die Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation nach den Bestimmungen der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation:



Artikel 1

1. Dieses Übereinkommen findet Anwendung auf die Arbeitnehmer in nachstehenden Betrieben, gleichviel ob es sich um öffentliche oder private Betriebe handelt:

a) Handelsbetriebe einschließlich Post, Telegraph und Telephon sowie die dem Handel dienenden Teile aller anderen Betriebe,

b) Betriebe und Verwaltungen, in denen Büroarbeit überwiegt,

c) Betriebe, die sowohl Handels- als auch gewerbliche Betriebe sind, soweit sie nicht als gewerbliche Betriebe gelten.

In jedem Staate bestimmt die zuständige Stelle die Grenze zwischen Handelsbetrieben und Betrieben, in denen Büroarbeit überwiegt, einerseits, gewerblichen und landwirtschaftlichen Betrieben andererseits.

2. Das Übereinkommen findet keine Anwendung auf die Arbeitnehmer in nachstehenden Betrieben:

a) Betriebe, die der Behandlung oder Unterbringung von Kranken, Gebrechlichen, Bedürftigen oder Geisteskranken dienen;

b) Hotels, Gasthöfe, Gastwirtschaften, Pensionen, Klubs, Kaffeehäuser und andere Betriebe, in denen Speisen oder Getränke an Gäste verabreicht werden;

c) Theater- und andere Vergnügungsbetriebe.

Das Übereinkommen gilt jedoch für Arbeitnehmer, die in Nebenbetrieben der unter a), b) und c) dieses Absatzes genannten Betriebe beschäftigt sind, sofern diese Nebenbetriebe unter das Übereinkommen fallen würden, wenn sie selbständig wären.

3. In jedem Staate kann die zuständige Stelle von der Anwendung dieses Übereinkommens ausnehmen

a) Betriebe, in denen nur Mitglieder der Familie des Unternehmers beschäftigt werden,

b) öffentliche Verwaltungen, in denen die beschäftigten Personen auf Grund der öffentlichen Gewalt tätig sind,

c) Personen, die eine leitende Stellung oder einen Vertrauensposten innehaben,

d) Reisende und Vertreter, soweit sie außerhalb des Betriebes tätig sind.



Artikel 2

Als Arbeitszeit im Sinne dieses Übereinkommens gilt die Zeit, während der die Arbeitnehmer zur Verfügung des Arbeitgebers stehen; sie umfaßt nicht die Ruhepausen, während der die Arbeitnehmer nicht zur Verfügung des Arbeitgebers stehen.



Artikel 3

Die Arbeitszeit der Arbeitnehmer, auf die dieses Übereinkommen Anwendung findet, darf achtundvierzig Stunden wöchentlich und acht Stunden täglich nicht überschreiten, soweit nicht in den folgenden Artikeln etwas anderes bestimmt ist.



Artikel 4

Die im Artikel 3 vorgesehene wöchentliche Arbeitszeit darf so eingeteilt werden, daß die tägliche Arbeitszeit zehn Stunden nicht überschreitet.



Artikel 5

1. Im Falle einer allgemeinen Unterbrechung der Arbeit infolge von a) örtlichen Feiertagen oder b) Betriebsstörungen oder höherer Gewalt (Störungen an den Betriebseinrichtungen, Aussetzen von Antriebskraft, Beleuchtung, Heizung, Wasserversorgung oder andere Ereignisse, die den Betrieb ernstlich beeinträchtigen) kann die tägliche Arbeitszeit zum Ausgleich der ausgefallenen Arbeitsstunden unter den folgenden Bedingungen verlängert werden:

a) Die Einbringung der ausgefallenen Arbeitsstunden darf an nicht mehr als dreißig Tagen im Jahre zugelassen und muß innerhalb eines angemessenen Zeitraumes durchgeführt werden;

b) die Verlängerung der täglichen Arbeitszeit darf eine Stunde nicht überschreiten;

c) die tägliche Arbeitszeit darf zehn Stunden nicht überschreiten.

2. Art, Ursache und Zeitpunkt der allgemeinen Unterbrechung der Arbeit, die Zahl der ausgefallenen Arbeitsstunden und die vorübergehenden Änderungen der Arbeitszeit sind der zuständigen Stelle mitzuteilen.



Artikel 6

Erweisen sich die Bestimmungen der Artikel 3 und 4 infolge der Verhältnisse, unter denen die Arbeit ausgeführt werden muß, ausnahmsweise als nicht anwendbar, so kann durch behördliche Vorschrift die Verteilung der Arbeitszeit auf einen längeren Zeitraum als die Woche zugelassen werden; jedoch darf die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit in diesem Zeitraum nicht mehr als achtundvierzig Stunden betragen und die tägliche Arbeitszeit unter keinen Umständen zehn Stunden überschreiten.



Artikel 7

Die Behörden können durch Verordnungen zulassen

1. dauernde Ausnahmen

a) für gewisse Gruppen von Personen, deren Arbeit ihrem Wesen nach Unterbrechungen mit sich bringt, wie für Hauswarte und die mit der Bewachung und Instandhaltung der Geschäftsräume und Lager beschäftigten Arbeitnehmer,

b) für die Gruppen von Personen, die unmittelbar mit Vorbereitungs- oder Ergänzungsarbeiten beschäftigt werden, wenn diese Arbeiten notwendigerweise außerhalb der Arbeitszeit ausgeführt werden müssen, die für die übrigen Arbeitnehmer des Betriebes gilt,

c) für Läden und andere Betriebe, wenn die Art der Arbeit, die Bevölkerungszahl oder die Zahl der beschäftigten Personen die in den Artikeln 3 und 4 festgesetzte Arbeitszeit unanwendbar macht,

2. vorübergehende Ausnahmen in folgenden Fällen:

a) Wenn eine Betriebsstörung eingetreten ist oder droht, wenn höhere Gewalt vorliegt oder dringende Arbeiten an den Maschinen oder an den Betriebseinrichtungen vorzunehmen sind, jedoch nur soweit es erforderlich ist, um eine ernsthafte Störung des regelmäßigen Betriebes zu verhüten,

b) um den Verlust verderblicher Stoffe zu verhüten oder die Gefährdung des technischen Ergebnisses der Arbeit abzuwenden,

c) um besondere Arbeiten zuzulassen, wie die Aufstellung von Inventuren und Bilanzen, die Termin- und Liquidationsarbeiten und die Rechnungsabschlüsse,

d) um es den Betrieben zu ermöglichen, außergewöhnlicher Häufung der Arbeit infolge besonderer Umstände zu begegnen, soweit dem Arbeitgeber andere Maßnahmen üblicherweise nicht zugemutet werden können.

3. Diese Verordnungen haben mit Ausnahme der unter 2 a) bezeichneten Fälle das Ausmaß der Arbeitszeitverlängerung zu bestimmen, das täglich und bei vorübergehenden Ausnahmen jährlich zulässig ist.

4. Die im Absatz 2 b), c) und d) dieses Artikels angeführten Arbeitszeitverlängerungen müssen mit mindestens 25 vom Hundert über dem Normallohnsatz bezahlt werden.



Artikel 8

Die behördlichen Vorschriften auf Grund der Artikel 6 und 7 sind nach Anhörung der beteiligten Berufsverbände der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber zu erlassen; dabei sind zwischen diesen Verbänden etwa bestehende Gesamtarbeitsverträge besonders zu berücksichtigen.



Artikel 9

Die Bestimmungen dieses Übereinkommens können in jedem Staate durch die Regierung im Fall eines Krieges oder anderer Ereignisse, welche die Landessicherheit gefährden, außer Kraft gesetzt werden.



Artikel 10

1. Durch dieses Übereinkommen dürfen auf Gewohnheit oder Vereinbarung beruhende Regelungen, die eine kürzere Arbeitszeit oder höhere Überstundenzuschläge vorsehen, nicht beeinträchtigt werden.

2. Die einschränkenden Bestimmungen dieses Übereinkommens treten neben alle anderen auf Grund von Gesetz, Verordnung oder sonstigen Vorschriften beruhenden Einschränkungen, die eine kürzere Arbeitszeit oder einen höheren Überstundenzuschlag vorsehen, sie treten aber nicht an ihre Stelle.



Artikel 11

Der wirksamen Durchführung dieses Übereinkommens sollen folgende Bestimmungen dienen:

1. Es sind geeignete Maßnahmen zu treffen, um eine hinreichende Aufsicht zu gewährleisten.

2. Alle Arbeitgeber sind zu verpflichten,

a) durch Anschlag an gut sichtbarer Stelle im Betrieb oder an einem anderen geeigneten Ort oder auf sonst eine von der zuständigen Stelle genehmigte Weise Beginn und Ende der Arbeitszeit oder bei Schichtarbeit Beginn und Ende der einzelnen Schichten bekanntzugeben,

b) in gleicher Weise die Ruhepausen bekanntzugeben, die den Arbeitnehmern gewährt und die nach Artikel 2 nicht als Arbeitszeit gerechnet werden,

c) alle Verlängerungen der Arbeitszeit nach Artikel 7 Ziffer 2 und die dafür geleistete Bezahlung in ein Verzeichnis einzutragen, dessen Form die zuständige Stelle bestimmt.

3. Die Beschäftigung eines Arbeitnehmers außerhalb der nach Absatz 2 a) dieses Artikels festgesetzten Arbeitszeit oder während der nach Absatz 2 b) festgesetzten Ruhepausen gilt als ungesetzlich.



Artikel 12

Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, hat durch Erlaß von Zwangsmaßnahmen dafür zu sorgen, daß die Bestimmungen dieses Übereinkommens eingehalten werden.



Artikel 13

Die förmlichen Ratifikationen dieses Übereinkommens sind nach den Bestimmungen der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes zur Eintragung mitzuteilen.



Artikel 14

1. Dieses Übereinkommen bindet nur diejenigen Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation, deren Ratifikation beim Internationalen Arbeitsamt eingetragen ist.

2. Es tritt in Kraft zwölf Monate nachdem die Ratifikationen zweier Mitglieder durch den Generaldirektor eingetragen worden sind.

3. In der Folge tritt dieses Übereinkommen für jedes andere Mitglied zwölf Monate nach der Eintragung seiner Ratifikation in Kraft.



Artikel 15

Sobald die Ratifikationen zweier Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation beim Internationalen Arbeitsamt eingetragen sind, teilt der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes dies sämtlichen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation mit. Auch gibt er ihnen Kenntnis von der Eintragung der Ratifikationen, die ihm später von anderen Mitgliedern der Organisation mitgeteilt werden.



Artikel 16

1. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren, gerechnet von dem Tag, an dem es zum ersten Mal in Kraft getreten ist, durch Anzeige an den Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes kündigen. Die Kündigung wird von diesem eingetragen. Ihre Wirkung tritt erst ein Jahr nach der Eintragung beim Internationalen Arbeitsamt ein.

2. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat und innerhalb eines Jahres nach Ablauf des im vorigen Absatz genannten Zeitraumes von zehn Jahren von dem in diesem Artikel vorgesehenen Kündigungsrecht keinen Gebrauch macht, bleibt für einen weiteren Zeitraum von fünf Jahren gebunden. In der Folge kann es dieses Übereinkommen jeweils nach Ablauf eines Zeitraumes von fünf Jahren nach Maßgabe dieses Artikels kündigen.



Artikel 17

Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat, sooft er es für nötig erachtet, der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens zu erstatten und zu prüfen, ob die Frage seiner gänzlichen oder teilweisen Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.



Artikel 18

1. Nimmt die Allgemeine Konferenz ein neues Übereinkommen an, welches das vorliegende Übereinkommen ganz oder teilweise abändert, so schließt die Ratifikation des neugefaßten Übereinkommens durch ein Mitglied ohne weiteres die Kündigung des vorliegenden Übereinkommens in sich ohne Rücksicht auf die in Artikel 16 vorgesehene Frist, vorausgesetzt, daß das neugefaßte Übereinkommen in Kraft getreten ist.

2. Vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des neugefaßten Übereinkommens an kann das vorliegende Übereinkommen von den Mitgliedern nicht mehr ratifiziert werden.

3. Indessen bleibt das vorliegende Übereinkommen nach Form und Inhalt in Kraft für die Mitglieder, die dieses, aber nicht das neugefaßte Übereinkommen ratifiziert haben.



Artikel 19

Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise maßgebend.