INTERNATIONALE ARBEITSORGANISATION

Übereinkommen 6

Übereinkommen über die Nachtarbeit der Jugendlichen im Gewerbe, 1919

Dieses Übereinkommen ist am 13. Juni 1921 in Kraft getreten. Es ist im Jahre 1948 durch das Übereinkommen 90 abgeändert worden.
Ort:Washington 
Tagung:1 

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation,

die von der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika auf den 29. Oktober 1919 nach Washington einberufen wurde,

hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend die Beschäftigung der Kinder und Jugendlichen (Nachtarbeit), eine Frage, die zum vierten Gegenstand der Tagesordnung der Konferenz von Washington gehört, und

dabei bestimmt, daß diese Anträge die Form eines internationalen Übereinkommens erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt das folgende Übereinkommen an, das als Übereinkommen über die Nachtarbeit der Jugendlichen (Gewerbe), 1919, bezeichnet wird, zwecks Ratifikation durch die Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation nach den Bestimmungen der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation:



Artikel 1

1. Als „gewerbliche Betriebe" im Sinne dieses Übereinkommens gelten insbesondere

a) Bergwerke, Steinbrüche und andere Anlagen zur Gewinnung von Bodenschätzen,

b) Gewerbe, in denen Gegenstände hergestellt, umgeändert, gereinigt, ausgebessert, verziert, fertiggestellt oder verkaufsbereit gemacht oder in denen Stoffe umgearbeitet werden, einschließlich des Schiffsbaues, der Abbruchunternehmungen, der Erzeugung, Umformung und Übertragung von Elektrizität und sonstiger motorischer Kraft irgendwelcher Art,

c) der Bau, der Wiederaufbau, die Instandhaltung, die Ausbesserung, der Umbau oder der Abbruch von Bauwerken, Eisenbahnen, Straßenbahnen, Häfen, Docks, Hafendämmen, Kanälen, Anlagen für die Binnenschiffahrt, Straßen, Tunneln, Brücken, Straßenüberführungen, Abwasserkanälen, Brunnenschächten, Telegraphen- und Telephonanlagen, elektrischen Anlagen, Gas- und Wasserwerken und andere Bauarbeiten sowie die dazu nötigen Vor- und Fundierungsarbeiten,

d) die Beförderung von Personen oder Gütern auf Straßen und Eisenbahnen, einschließlich des Verkehrs mit Gütern in Docks, auf Ausladeplätzen, Werften und in Lagerhäusern, jedoch mit Ausnahme der Handbeförderung.

2. In jedem Staate bestimmt die zuständige Stelle die Grenze zwischen Gewerbe einerseits, Handel und Landwirtschaft andererseits.



Artikel 2

1. Jugendliche unter achtzehn Jahren dürfen während der Nacht in öffentlichen oder privaten gewerblichen Betrieben oder deren Nebenbetrieben nicht beschäftigt werden. Dies gilt nicht für Betriebe, in denen lediglich Mitglieder derselben Familie beschäftigt sind. Ferner gilt folgende Ausnahme.

2. Jugendliche über sechzehn Jahre dürfen während der Nacht in Betrieben der nachstehenden Arten beschäftigt werden mit Arbeiten, die ihrer Natur nach nicht unterbrochen werden können:

a) Eisen- und Stahlwerke; Arbeiten, zu denen Reverberier- und Regenerativöfen benützt werden, und Verzinkung von Eisenblech und Eisendraht (mit Ausnahme des Dekapierens);

b) Glashütten;

c) Papierfabriken;

d) Rohzuckerfabriken;

e) Reduktion des Golderzes.



Artikel 3

1. Als „Nacht" im Sinne dieses Übereinkommens gilt ein Zeitraum von mindestens elf aufeinanderfolgenden Stunden, der die Zeit von zehn Uhr abends bis fünf Uhr morgens in sich schließt.

2. In Stein- und Braunkohlengruben dürfen Jugendliche zwischen zehn Uhr abends und fünf Uhr morgens arbeiten, wenn ihnen zwischen zwei Arbeitsschichten in der Regel fünfzehn Stunden, keinesfalls jedoch weniger als dreizehn Stunden Ruhe gewährt werden.

3. In Ländern, in denen die Nachtarbeit im Bäckereigewerbe für alle Arbeitnehmer gesetzlich verboten ist, kann statt der nächtlichen Arbeitsruhe von zehn Uhr abends bis fünf Uhr morgens eine Arbeitsruhe von neun Uhr abends bis vier Uhr morgens festgesetzt werden.

4. In denjenigen tropischen Ländern, in denen die Arbeit um die Tagesmitte unterbrochen wird, kann die Dauer der Nachtruhe weniger als elf Stunden betragen, wenn am Tag eine entsprechende Ruhezeit als Ersatz gewährt wird.



Artikel 4

Die Bestimmungen der Artikel 2 und 3 finden keine Anwendung auf die Nachtarbeit Jugendlicher von sechzehn bis achtzehn Jahren im Fall einer nicht vorherzusehenden oder nicht zu verhindernden, sich nicht periodisch wiederholenden Betriebsstörung, die auf höhere Gewalt zurückzuführen ist.



Artikel 5

Bei Anwendung dieses Übereinkommens auf Japan gilt Artikel 2 bis zum 1. Juli 1925 nur für Jugendliche unter fünfzehn Jahren, und von da ab nur für Jugendliche unter sechzehn Jahren.



Artikel 6

Bei Anwendung dieses Übereinkommens auf Indien bedeutet der Ausdruck „gewerbliche Betriebe" lediglich „Fabriken" im Sinne des indischen Fabrikgesetzes; ferner gilt Artikel 2 nicht für männliche Jugendliche über vierzehn Jahre.



Artikel 7

Das Verbot der Nachtarbeit kann für Jugendliche von sechzehn bis achtzehn Jahren von der Behörde außer Kraft gesetzt werden, wenn es das öffentliche Interesse infolge besonders schwerwiegender Gründe erfordert.



Artikel 8

Die förmlichen Ratifikationen dieses Übereinkommens sind nach den Bestimmungen der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes zur Eintragung mitzuteilen.



Artikel 9

1. Jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation, das dieses Übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, es für diejenigen seiner Kolonien, Besitzungen und Protektorate, die keine völlige Selbstregierung haben, in Kraft zu setzen, jedoch unter den folgenden Vorbehalten:

a) Die Anwendbarkeit des Übereinkommens darf nicht durch die örtlichen Verhältnisse ausgeschlossen sein;

b) die für die Anpassung des Übereinkommens an die örtlichen Verhältnisse erforderlichen Abänderungen dürfen ihm eingefügt werden.

2. Jedes Mitglied hat dem Internationalen Arbeitsamt sein Vorgehen hinsichtlich seiner einzelnen Kolonien, Besitzungen und Protektorate, die keine völlige Selbstregierung haben, mitzuteilen.



Artikel 10

Sobald die Ratifikationen zweier Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation beim Internationalen Arbeitsamt eingetragen sind, teilt der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes dies sämtlichen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation mit.



Artikel 11

Dieses Übereinkommen tritt mit dem Tag in Kraft, an dem diese Mitteilung durch den Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes stattgefunden hat. Es bindet nur diejenigen Mitglieder, die ihre Ratifikation beim Internationalen Arbeitsamt haben eintragen lassen. In der Folge tritt dieses Übereinkommen für jedes andere Mitglied mit dem Tag in Kraft, an dem seine Ratifikation beim Internationalen Arbeitsamt eingetragen worden ist.



Artikel 12

Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, seine Bestimmungen spätestens am 1. Juli 1922 in Geltung zu setzen und die zu ihrer Durchführung nötigen Maßnahmen zu treffen.



Artikel 13

Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren, gerechnet von dem Tag, an dem es zum ersten Mal in Kraft getreten ist, durch Anzeige an den Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes kündigen. Die Kündigung wird von diesem eingetragen. Ihre Wirkung tritt erst ein Jahr nach der Eintragung beim Internationalen Arbeitsamt ein.



Artikel 14

Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat, sooft er es für nötig erachtet, der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens zu erstatten und zu prüfen, ob die Frage seiner gänzlichen oder teilweisen Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.



Artikel 15

Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise maßgebend.